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Sabine Vess, Bruno Schulz Institut, June 2008 From 7 till 31 May I was in Lima. Togther with the stagedirector Ismael Contreras and the musician Toño Tarnawiecki we took up the preparations of the intended pilot-campaign this fall: presenting 'nana de la calle' at secondary schools of Lima, followed by discussions between street children and students. May 2009
Im August 2005 fange ich mit den Kindern und Jugendlichen der Häuser von 'Generación' in Lima mit diesem Theatermachen an. Seit 2000 unterstützt das Bruno Schulz Institut das Theaterprogramm dieser Institution, wo sie für die Rechte der Strassenkinder kämpfen, die von der Strasse als ihresgleichen betrachten, ihnen ein Heim anbieten und ob du gerade in einem der Häuser wohnst, unterkommst, irgendwann da warst, immer wieder oder permanent auf Strasse lebst, du gehörst zur 'Familie'. Ich auch. Wie kommt es dazu?1995, mit gut vierzig anderen zu Fuss unterwegs von Mombasa in Kenia nach Kampala in Uganda, sagt Luke, eine Ärztin aus Nairobi: mach Theater mit meinen Strassenkindern. Das kommt dann über erste Ansätze nicht hinaus.Unterwegs sagt Hans, unser Freund aus Kisumu: arbeite mit unseren Kunststudenten, schüre ihre Talente, ihre Vorstellungskraft. Hans ist Missionar in Kisumus Elendsvierteln. Er hatte seine schwarzen und weissen Freunde zu diesem fünfzigtägigen Marsch auf den Spuren der ersten Mill Hill Missionare eingeladen. Zum Schüren der Talente seiner Kunststudenten schickt mich der Verband niederländischer Seniorenexperten (PUM) 1996 und 1997 für je einen Monat dahin. Und seit ich damals mit diesen Studenten unter ihrem Trommeln auf allem, was Klang erzeugt, wie unter tiefen Stillen zeichne, tanze, Theater mache, sie sich beim Spielen häuslicher Szenen halbtot lachen, ihr Bettler mir unter die Haut fährt, phantastische Figuren aus zusammengetragenem Abfall, Menschenfronten aus alten Zeitungen unseren Raum bevölkern, wir silbermaskiert mit Sack und Pack durchs Tor des Missionszentrums tanzen, gehört solchem Schaffen mein Herz. mit Kunststudenten in Kisumu, 1996 und 1997 Nach solch offiziellem Monat bin ich dann kurz noch in Nairobi, mehr ist nicht drin. in einer Schule für Strassenkinder in einem Elendsviertel Nairobis, 1996 Projekte zum Fördern der Kreativität mittels der Batik bringen mich bis 2000 auch zweimal nach Kamerun und zweimal nach Mali. Diese alte indonesische Wachstechnik ist für mich mehr eine Art des Denkens, des Strukturierens von Vorstellungen, als nur eine Technik für Stoffdekorationen. batiken im 'Centre Social des Beaux Arts' in Yaoundé, Kamerun, 1996 und 1997
frei zeichnen mit Kreide auf Tischen, Bamako, Mali, 1999
1998, zum ersten Mal nach Peru geschickt, ins Zustromgebiet des Amazonas, verliebe ich mich in dieses Land und sage ja, als ich ein Jahr später um meine Assistenz bei einem dreijährigen Schulungsprojekt für Weber der Anden gebeten werde. Wieder mache ich es zu meiner Hauptaufgabe Talente und Vorstellungskraft der mir Anvertrauten zu schüren und die besten unter ihnen darauf vorzubereiten dieses Schüren selbst in die Hand zu nehmen. 2002, im letzten Jahr des Projekts, werden dann auch Töpfer und Gold- und Silberschmiede in die Schulung mit einbezogen. Ich arbeite vor Ort in den Departementen Cajamarca und Ayacucho und in Lima.
Vom ersten Kontakt mit den Kindern und Jugendlichen von Generación bis Ende 2007hier finden Sie die Dokumentation des Projektes Anfang 2000 schreibe ich Lucy Borja, der Direktorin von Generación, eine Bekannte eines Bekannten, biete jedenfalls unsere Unterstützung an und bin im Mai zum ersten Mal bei den Kindern und Jugendlichen in den verschiedenen Häusern und auf der Strasse. Gehe dann immer zu ihnen, wenn ich in Lima bin und meine Zeit es zulässt. Kriege ihre individuellen Situationen und Geschichten mit, den Verlauf ihrer Tage, das Funktionieren des Fangnetzes der Häuser. Lerne die Rhythmen ihrer individuellen und gemeinsamen Verhaltensmuster, Bewegungen, Melodien, Laute, Geräusche kennen, befinde mich zunächst in nur ohrenbetäubender Kakophonie. Rein ins Haus, raus, hin, her, übereinander gelegt in Ecken; das hält nachts auf der Strasse die Wärme in den Knochen. Die spastische Schwachsinnige mit Rucksack wimmert, treppauf, treppab, schlägt mit der Hand auf den Kopf ein. Der Kretin schreit, lacht, plärrt. Kinder schleppen Kinder in Bäuchen, vor Bäuchen. Ein Fussball zischt an meinem Kopf vorbei. Die Dreizehnjährige, auf der Strasse vergewaltigt, hört, ihr Vater sei nicht ihr Vater, dreht durch, rennt rum, raus auf die Strasse, ist Tage später zurück, stinkend, verklebt, wirft sich auf den Boden, den Männern an die Hälse, tanzt lasziv in durchsichtigem Kleidchen. Lässt meine Zeit es zu, zeichnen wir zusammen, machen Masken aus Silberpapier, tanzen. Bei allem, was sie tun, schwingt die Strasse, schwingt das Zuhause, aus dem sie raus auf die Strasse sind, in ihnen mit. Alles kann gleich wieder abbröckeln, sich endlos verzögern. Wollen sie nicht, wollen sie nicht. Und für die Gehirne vieler, vom Kleisterdunst buchstäblich verklebt, ist und bleibt der Fleck, wo Pläne geschmiedet und ausgeführt werden, weiss, macht gegebene Worte zunichte. Im November 2004 nehme ich alle kreativen Projekte von Generación unter die Lupe, biete an mit den Kindern und Jugendlichen aus ihrem Leben Theater zu machen, in ihrem und meinem Raum Raum dafür zu schaffen. Die Zeit ist reif. Und ich fange an sie zu zeichnen, krieche so unter ihre und sie unter meine Haut. Bevor wir im August 2005 mit so gut wie nichts mit den Proben anfangen, hole ich einen ersten spanischen Gesang - Rap in ihrem Jargon - aus einem Interview mit einem Exstrassenkind. Rap, sie sprechen so. Berichte über die Vertreibung von gut siebzig Kindern und Jugendlichen aus Generacións grössten Haus in Magdalena del Mar, einem Stadtteil Limas, seitens der Obrigkeit durch eine Hundertschaft am 17. Mai 2005, fügen sich an. Pepe und Onasis Toro 2006 machen wir Drei uns mit denen, die noch dabei sind, und denen, die neu sind, an die Opernform dieses Theaters. 2007 werden noch drei Häuser geschlossen, zwei wegen klagender Nachbarn und aus dem Haus für Mädchen auf dem Strassenstrich, einem Bäckereiprojekt, zieht sich die europäische Hilfsorganisation zurück. Da konnten sie wohnen, die Schwangeren ihre Kinder kriegen und bei sich behalten, mittags zur Schule gehen und zwei Stunden pro Tag in der Bäckerei arbeiten, das Fach lernen. Sie brauchen drei Dollar Verdienst pro Tag um versichert sein zu können. Nachbarn kauften da ihre Brötchen und Torten, das Krankenhaus um die Ecke war Kunde. Einige dieser Mütter sind noch nicht sechzehn. Einige dieser Mütter leben nun mit ihren Kindern wieder auf der Strasse. Wir machen weiter, beziehen die, die auf der Strasse leben, mit ein, auch wenn sie sich nicht zur Familie zählen. Meine Kumpane sind diesmal der peruanische Schauspieler und Dramaturgiedozent Ismael Contreras und der achtzehnjährige Musiker Yolver Rodríguez. Yolver lebt sechs Jahre auf der Strasse, bevor er 2000 zur Familie kommt. Damals singt er für mich, nur für mich. Wohnt jetzt bei der sechzehnjährigen Mutter seiner zweijährigen Tochter bei der Schwiegermutter, spielt in Bussen, gibt den Kleinen der Familie Musikunterricht. Die letzten zwei Wochen hilft uns der kolumbianische Musiker Luis Andrés Sendoyer. Ismael Contreras, Luis Andrés Sendoyer, Yolver Rodríguez Wir arbeiten im letzten noch offenen Haus am Pazifik südlich Limas mit den Kleinen, in der Hochschule für Dramaturgie und im Stadion mit denen, die auf der Strasse leben, im Wohnzimmer von Ismael Contreras mit denen der Familie, die jetzt selbständig wohnen, und zweimal dürfen wir mit allen in der Sporthochschule der 'Universidad Nacional Mayor de San Marcos' die Oper zusammenfügen. Feststeht, wann ich jedes Mal ankomme und wieder gehe, dass ich die ganze Zeit tagtäglich für dieses Theatermachen da bin und wir das Stück am Ende meiner Frist wenigstens einmal irgendwo spielen. Gebrauch und Funktion der von ihnen erhaltenen Informationen über ihr Leben fürs TheaterNicht nur die erstatteten Berichte informieren, sondern auch das Verhalten der Kinder und Jugendlichen, ihre Bewegungen, die Melodien und Rhythmen ihrer Sprache.Der weitere Umgang mit ihren Berichten Bevor wir uns 2006 an die Oper machen, schreibe ich anhand des entstandenen Theatertextes und meiner Aufzeichnungen das Libretto, setze alles in die Gegenwart. Aus Edson wird Rapson, sein Spielraum grösser. Er hat das Schreiben für sich entdeckt, hat das Zeug dazu. Den Song, den er mir schickt, bearbeite ich so, dass er Teil des Ganzen bleibt, brüte dann mit ihm zusammen darüber, bis es wieder sein Song ist. Rapson und sein Freund Pedro fangen mit Kumpanen, die nicht von der Strasse sind, eine eigene Rapgruppe an, fangen an Aufnahmen zu machen, an Wettbewerben teilzunehmen. Das Umfunktionieren ihrer Bewegungen Die Funktion der Melodie und des Rhythmus ihrer Sprache Das tägliche Üben und ProbenVor Anfang jeder Probe üben wir mit allen Anwesenden das Basiszeug allen Theaters: Bewegungs- und Sprachapparat, die grauen Zellen und auch das Zusammenspiel. Sie kriegen es mit den Grenzen ihres Könnens im Kleinen zu tun, lernen Können und Talente im Kleinen auszubauen. Und sie und meine Kumpane und ich müssen mit ihren weissen Flecken - Folgen des Kleisterdunstes, anderer Drogen und der Netze ihrer sozialen Strukturen - umgehen.Für sie war alles immer jetzt und aus. Für Zukünftiges zu arbeiten lag jenseits ihrer Horizonte. Und Zeit, was ist Zeit schon? Während der Proben entwickelt sich unsere - nicht nur ihre - Fähigkeit unser Tun und Lassen aus gewissem Abstand zu betrachten. Wir üben unser Können, unsere Talente und Vorstellungskraft, unsere Fähigkeit freier mit Können, Talenten und Vorstellungskraft umzugehen, damit zu jonglieren, üben uns in der hier nötigen kollektiven und individuellen Disziplin. Wissend, dass wir in der mit ihnen vereinbarten Zeit nicht weggehen, wir über unsere Bindung an die Vereinbarung mit ihnen ihre Gefangenen werden können, spielen sie ihr Spiel mit uns, das somit unser Spiel ist. In jeder vereinbarten Zeitspanne findet ein Austausch statt, was noch nichts über die Auswirkung in ihnen oder uns besagt. Jorge Luis sitzt 2005 nur da, wäscht sich nicht, seine Kleider nicht, schaut vor sich hin, liefert seinen Akrobatenakt, sitzt wieder da, torpediert die Proben. 2007 kennt er den ganzen Text auswendig, könnte die ganze Oper zur Not alleine spielen, sie perfekt imitieren. Wie ein Fisch bewegt er sich im Pazifik. Wellenreiten ist wie für viele im Haus am Pazifik sein Ein und Alles. Sie nehmen an Wettkämpfen teil. Die Kinder und Jugendlichen, die sich irgendwie in Häuser eingliedern lassen, schaffen es jetzt zwei Stunden hintereinander mehr oder weniger konzentriert zu arbeiten, für die, die auf der Strasse leben, ist eine Stunde viel. Manchmal sind sie ganz da. Das macht mir Mut, denn abgesehen vom Stück an sich, vom Schauspieler sein oder nicht - sie sind weder Schauspieler noch Künstler, einige haben Talent - ist Theater Magie, ganze Anwesenheit, auf Leben und Tod. 2007 protestieren sie nicht mehr wirklich, wenn ich sie drei-, vier-, fünfmal hintereinander dieselbe Stelle üben lasse, merken auf einmal selbst, dass sie beim vierten Mal besser sind als beim dritten. Natürlich ist Wellenreiten schöner. Die AufführungenWie das Leben ist Theater, dieser zugespitzte Auszug von Leben, ein Wechselspiel zwischen einer Menge von Leuten und Umständen.Eine Aufführung ist ein konkretes und zeitlich absehbares Ziel: zur festgesetzten Zeit spielen wir. Das hält sie - uns - irgendwie zusammen und bei der Sache, auch wenn es oft nicht so aussieht. Bei jeder Aufführung zeigt sich, wie wir dieses Wechselspiel meistern, baut sich das Stück vor Ort mit den anwesenden Spielern und dem vorhandenen Material auf, bleiben Kinder und Team eine Gemeinschaft. Wer nicht da ist, dessen Rolle fällt für diesmal weg oder wird von jemand anderem oder mir übernommen. Nach dem Stück kann jeder seinen eigenen Akt bringen. Mit ihnen auf der Bühne zu stehen ist ein Fest. Feste reissen mit, wollen gefeiert sein. Perfektion? Die meisten mathematischen Gleichungen kennen wenigstens eine Unbekannte. Das ist tröstlich. Mitte August 2005 ist eine Art Generalprobe im britischen 'Markham College'. Wiegenlied der Strasse 2007.wmv Nie hätten diese Kinder und Jugendlichen sich träumen lassen je das schickste College Limas, ein spiegelblankes Kongresszentrum, die älteste Universität Latein Amerikas als gleichberechtigte Menschen zu betreten und da auch noch vor einem Publikum in schönen Kleidern zu spielen und nicht: Ratte verschwinde!, sondern Beifall zu hören. Der Beifall während und am Ende einer Aufführung steigert ihr Selbstbewusstsein, erzeugt gleichzeitig pure Freude und Arroganz. Und jetzt?Wir hatten uns entschieden alle Kinder und Jugendlichen anzusprechen und jedes und jeden, der dann auch will, irgendwie mitmachen zu lassen; 2007 auch die, deren Zuhause die Strasse ist, ob sie sich nun zur Familie zählen oder nicht. Die kommen 2006 in Scharen zur ersten Vorstellung, stürmen danach auf die Bühne, wollen mit ihren Instrumenten kommen, treten bei den nächsten zwei Vorstellungen im Nachprogramm auf. 2007 machen sie mit.Für die, die wirklich arbeiten wollen, sind die, die das nicht oder noch nicht wollen, die reinste Plage. Schon 2006 wünschen sich einige der Jugendlichen ein Zentrum, wo sie allein oder in Gruppen mit Dozenten proben und an weiterem Theater arbeiten können.
Eine PR-KampagneSeit dem Auftritt im britischen 'Markham College' im August 2005 schwebt uns vor dieses Theater an allen mittleren und höheren Schulen Limas zu spielen mit danach Diskussionen zwischen Schülern und Strassenkindern. Bei zwei Schulen pro Tag dauert solch eine Kampagne gut ein Jahr. Lima ist riesig. Auch über mehrere Gruppen verteilt, arbeiteten die Kinder und Jugendlichen so ein Jahr lang regelmässig und setzten sich immer wieder, vor und mit immer anderen Gleichaltrigen, mit ihrem Leben auseinander.Keiner unserer Ersuche um finanzielle Hilfe dafür ist bisher honoriert worden. Sogar für ein Pilot-Projekt brauchen wir Zuschüsse.
Vom 7. bis 31. Mai 2008 war ich zu Vorbereitungen in Lima. Yolver, mein junger Kumpan vom letzten Jahr, kommt nicht mehr. Ich arbeite weiter mit Ismael Contreras und habe den Musiker Toño Tarnawiecki dazugeholt. Mit Toño hatte ich 2002 zweimal beim Schüren der Talente der Weber, Töpfer und Gold- und Silberschmiede der Anden in Ateliers des Peruanischen Nationalen Kultur Instituts in Lima gearbeitet. Toño Tarnawiecki Inzwischen ist Pedro, einer unserer Rapper, in die Polizeischule Limas aufgenommen worden, ist Peter, ein anderer Rapper, auf der Strasse gestorben. Gregorio macht's auch nicht mehr lange. Aus einem Gespräch im Mai 2008 in Lima: Juli 2009. Das Pilot-Projekt hat erwiesen, dass solche Kampagne funktioniert. Die Kinder spielen jetzt einmal pro Monat. Toño macht nicht mehr mit. Ismael auch nicht. Pepe, der Musiker, mit dem ich mit diesem Theatermachen angefangen hatte, war kurz wieder dabei. Er schrieb mir, die Kinder seien darauf versessen ihr Theater zu spielen, regelten alles selbst und er helfe nur. Im Juni haben sie das Stück allein, ohne Musiker, vor 350 Schülern gespielt; mit Erfolg. Das ist ein grosser Schritt. Ich fliege im September wieder hin.
August 2010. Der nächste Schritt ist eine Strassenakademie, a street academy. Im Oktober bin ich wieder in Lima. |
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nana de la calle - bei einer Probe im Oktober 2010 |
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