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Nach Gicharani
08.08.
27 km.
Die Frau ist besoffen. Ihr Gesicht blutverkrustet. Die Augendeckel klappen ihr immer wieder zu. Über die Trägheit an sich legt sich die des Alkohols. Der Körper hängt schief, die Strickjacke auch, die Glieder schlenkern. Es ist beinahe 6 Uhr. Am Mill Hill Haus vorbei, sie winken uns nach. Nach den ersten 4 km löst eine Budenstadt die andere ab. Es stinkt nach Kloake.

Wir streichen irgendwo nieder. Fressen, was es zu fressen gibt. Pinkeln, scheissen hinter Büsche, werfen Schalen und Plastikbeutel weg.

... Nach einem Ruhetag verlassen wir Nairobi, die Zivilisation, wieder. Von Osten kommend, vermittelt es keinen armen Eindruck. Heute haben wir es in westlicher Richtung, von Elendsviertel zu Elendsviertel, verlassen. Dass in diesen eingedellte Hundehütten aus Wellblech oder Wellblechfetzen - einer Art Flickendecke - Menschen wohnen! Es stinkt.
... Am achtzehnten Tag gab es auf einmal richtige WC's und warme Duschen. Ich habe mich ein bisschen erkältet und werde sicher noch einen Tag husten und schnauben. In Kenia kann es genauso kühl sein wie in den Niederlanden an einem nieseligen Tag.
Gestern habe ich probiert Mutti anzurufen. Das Netz war überlastet.
Gestern hat der erste Sekretär der Niederländischen Botschaft uns alle bei sich zuhause empfangen. Mit Minibussen wurden wir in zwei Einheiten abgeholt und wieder zur Schule gebracht. Die Niederlande mitten in Kenia. Alles war so niederländisch. Dann war, halbwegs, kaum noch Fleisch da. Die afrikanischen Männer nehmen sich als Erste. Und viel. Und sehr viel Fleisch. Für sie ist es ganz normal Frauen die Kelle aus der Hand zu nehmen.
Was ich zu sehen bekomme, ist kaum in Worte zu fassen. Hitze oder Kälte oder beides Hand in Hand, in jeder Hinsicht.
In einer halben Stunde wird wieder eine Messe zelebriert. Meistens gehe ich nicht. Unter diesen armseligen Umständen ist Gott, jeder Gott, einfach riesengross.
Hans akzeptiert, dass ich den kirchlichen Aktivitäten fast immer fernbleibe. Das Wunder meines Überlebens melken die Missionare schamlos aus. Der Unfall hatte den Tod wegen Gottes Grösse nicht zur Folge. Hätte er ihn zur Folge gehabt, wäre meine Zeit um gewesen. An meinem Geburtstag haben Kinder für mich und wegen dieses Wunders gesungen. Die Missionare sprechen den Gläubigen zu, als könnten sie nicht bis zehn zählen - die Gläubigen. Für jemanden, der einen etwas grösseren Abstand zur Kirche hat, ist das genant. Ja, sie müssen jeden Tag alles wieder aufs Neue lernen. Sie fahren mit ihren Autos, als seien es Go-Karts - auch die Polizisten - und bei jedem Schlagloch lachen sie sich halbtot. Manchmal wie auch heute fahren unsere Chauffeure einfach los, ohne zu wissen, in welche Richtung, müssen umkehren. Auch darüber lachen sie Tränen.
Zwei Tage nach dem Unfall lief uns das Gerücht voraus, dass einer von uns von einem Löwen gerissen worden sei.
In Nairobi sind eine Menge Leute hinzugekommen. Nachdem die Horde so einigermassen im Griff hatte miteinander auszukommen, ist dieses Gleichgewicht jetzt so ungefähr im Eimer. Hinzu kommt, dass Klauen in diesem Teil der Welt so normal ist wie das Essen einer Stulle. Abgesehen von vorsätzlichem Klauen, nimmt man sich. Wir sind die Bäume ihres Edens.
Heute ist die Unterkunft äusserst primitiv und es ist kalt. Ich durfte im Pfarrhaus ein warmes Bad nehmen. Das stellt das körperliche und geistige Gleichgewicht schneller wieder her. Seit ein paar Tagen läuft ein Massai mit, sein Gesicht ist sehr fein geschnitten, deutlich anders, und ein Kikujo, dessen Nase so gross ist wie wir sie von afrikanischen Masken her kennen. Afrikaner schmieren sich übrigens nach jedem Waschen mit Vaseline ein. Ihre Haut glänzt dann tiefschwarz. Luos sind die schwärzesten Schwarzen, denen ich je begegnet bin...
Nach Ndiuni
09.08.
30 km.
2500 m hoch und ziemlich frisch. Wir schlafen in der Kirche, auf den Bänken. Mummen uns gut ein. Hier brauchen wir kein Mückennetz. Es gibt kein Wasser. Das nötigste ist für uns hergebracht. Eine Hochalm in Afrika. Immer wieder lachen Afrikaner über uns. Wie kann man nur so was tun? Ein Protestmarsch? Ist euer Auto kaputt?

Gestern Abend kommen Frauen der Gemeinde mit Bohnen mit Mais.
Einer der neuen, ein junger Seminarist - sein Schatten in den Räumen und dann liegen Sachen nicht da, wo sie lagen. Das sät Unruhe. Jetzt muss jeder einzelne Raum immer bewacht werden. Und dann hoffen, dass solch Benehmen nicht ansteckt.

Michaels Gesicht ist besonders. Nase und Mundpartie sind europäisch. Seine Mutter ist Massai. Er ist Katechist.
"Basisschule in einer Missionsstation. Dann zurück zum Stamm. Das obligate Überlebenstraining: nur auf sich gestellt, entfernt der Gemeinschaft, am Leben bleiben. Grosse Tiere mit Pfeil und Bogen erlegen. Ich bin Meister im Bogenschiessen. Nein, keine Nomaden mehr. Viehzucht, ja. Nach dem Erwachsenwerden doch zurück zur Kirche. Finde, was da gebracht wird, weiter reichend. Massai töten Menschen, werden zum Menschenkrieg erzogen."
Ob er von den kriegerischen Kreuzzügen im Namen der Kirche gehört hat und dass sich die Tötungsmaschinerie nur in andere Sphären verlagert hat, keiner mehr wirklich mit dem Blut des anderen in Berührung kommt? Das ist nicht wahr. Die Maschinerie kann, Millionen aus sicherem Abstand niedermetzelnd, diesen Zeitpunkt verzögern, irgendwann steht Blut doch gegenüber Blut.

Eine Tasse Wasser zum Waschen.
Wieder kommen Frauen mit Bohnen und Mais. Wir sind zu müde um uns wirklich für sie zu interessieren.
Lwanga, er ist aus Mumias, führt in der Abenddämmerung eine Art Schattenboxen auf freiem Feld auf, seine tägliche Gymnastik; hier oben im Regenmantel, mit Hut und Schal und Handschuhen.

Nach Longonot
10.08.
32 km.
Von Ndiuni aus geht's steil runter in den Bruch des afrikanisch syrischen Riffs. Auch das Tote Meer gehört dazu. Der Abstieg ist mit einer Gruppe solch ungeübter Individuen nicht ohne Risiko. Kinder flitzen wie Wiesel auf blossen Füssen an uns vorbei. Hans rutscht auf einem Grass bewachsenen Zwischenplateau aus. Die Serpentinenwege nach diesem Abstieg machen aus der vermeintlichen Abkürzung einen Weg von acht Stunden. Wir passieren das Landgut eines weissen Bauern.

Theo ist leicht gekränkt, Schweigen ihm unerträglich. Lange Strecken läuft er, in einigem Abstand, mit aufgedrehtem Transistorradio; Kizito beinahe immer mit Kopfhörern und Walkman.

Michaels Brandmale: Kinder fügen sich selbst Brandmale zu um ihre Tapferkeit zu beweisen. Er trägt eine in die Haut gekerbte Kette. Auch seine Kinder haben schon angefangen sich mit Zigaretten Brandmale zuzufügen.

Nichts ist vorbereitet. Obwohl Hans gestern noch mit dem Wagen hier war, drei Briefe von ihm eingegangen sind, erwartet man uns erst am 20. August.
Für den grünen Peugeot, das Auto von Jan, haben sie die verkehrten Ersatzteile mitgebracht. Hans rauft sich die Haare.

Nach Naivasha
11.08.
20 km.
Welch merkwürdige Ehre für die Menschen von hier uns empfangen zu dürfen, diese zielbewusste doch im Grunde ziellose Schlange, die am geografisch festgesetzten Endpunkt zerfällt, deren rechte Seite mehr und mehr versengt, die, den Schatten missachtend, nur zu den dazu festgesetzten Zeiten rastet, ihre Haut, dieser festgesetzten Zeiten wegen, der prallen Sonne aussetzt, Schatten rück- und vorwärts in Sichtweite.
Der Staub ist ungeheuer.

Ich färbe mir die Haare. "Hier", fragt eine der Holländerinnen. "Ja." Michael und noch einer der Afrikaner helfen mir beim Ausspülen. Die afrikanischen Frauen legen einander Flechten ins Haar. Wir bummeln durch die Stadt. Trinken irgendwo Kaffee. Ein aufkommender Sturm fegt durch die Strassen.

Nach Gilgil
12.08.
29 km.
Über den alten Nairobi - Kampalaweg. Rudel von Kindern begleiten uns ganze Strecken.

Nakuru
13.8.
Gut 40 km.
Trotz langer Pause, sehr viel und gnadenlos von Wortschwallen zerfetzt. Der 'schlafende Massai.'
Flamingos.
In Nakuru herrschen bis vor kurzem noch politische Unruhen. Korruption ist das Gift hier.

"Bleibt bei dem Chauffeur und den Polizisten stehen", sagen die Luos. Polizisten lassen sich ohne weiteres bestechen.
"Nicht fotografieren!"
Kraftmärsche wie heute brechen uns.
"Was ist los?"
Menschen stehen am Strassenrand, glotzen, schütteln die Köpfe. Ein weissäugiger Alter hängt mit einer Hand an einem Ast, winkt mit der anderen. An einer Kreuzung sitzt einer auf einer Art Hochsitz spricht, gebärdet, lacht.
"Luos sind faul."
"Luos sind intelligent."
"Nach Kampala? Zu Fuss?" Sie lachen sich kaputt.

Die Stämme werden gegeneinander aufgehetzt.

Nach Rongai
14.8.
33 km.
"Brüder und Schwestern in Jesus, bitte, eine Bekanntmachung für die Neuen: ein Ei pro Kopf."

Noch bevor wir unsere Unterkunft, ein Kloster, erreichen, fängt es an zu regnen. Gleich rein in die Kirche, alle. Auf süsse Bildchen gestützte naive Glaubenssprüche.
Das Oberhaupt dieses kitschigen Paradieses, ein Italiener, guckt bei der persönlichen Begrüssung nach dem kirchlichen Empfang mit schräg gehaltenem Kopf weinerlich lächelnd an jeder Frau vorbei, gibt die Hand so, dass er sie eigentlich nicht gibt.

Zum ersten Mal sind meine Füsse durch und durch müde, bleiben müde.
Wir sind 2000 m hoch, die Kornfelder grün.

Fons denkt, dass wir nie so werden denken können wie sie. Warum denn verlangen wir von ihnen so denken und sich ordnen zu können wie wir, schütteln unsere Köpfe über ihr Unvermögen, raufen uns die Haare?
Es giesst.

Patrick bügelt seine Sachen mit einem Holzkohlebügeleisen. Immer wieder schwenkt er es hin und her.
Es giesst noch immer.

... gestern die Hälfte des Marsches. Nie gewöhnt sich mein Leib an Fussmärsche über 30 km, nicht, dass er sie nicht aushält. Gestern waren es 40 km, heute 33... Den Rest einer Erkältung, sonst geht es mir gut. Wie ein Heuschreckenschwarm streichen wir an jedem Bestimmungsort nieder, essen, trinken, verrichten die Notdurft, schlafen in Sälen, Kirchen, Schulen. Bei Schulen musst du nicht an unsere Schulen denken. Wir lechzen nach Wasser, am liebsten in Hülle und Fülle, was meistens nicht der Fall ist. Wollen ein Klo, am liebsten mit Wasserspülung, was meistens nicht der Fall ist...
Erhaben die Märsche, bei denen wir den Tagesanbruch erleben. Sogar in der schnatternden Gruppe findet sich immer ein Loch der Stille.
Gestern waren wir in Nakuru. Vor ein paar Tagen noch herrschten da politische Unruhen. Wir durften nicht fotografieren. Die Stämme werden gegen einande aufgehetzt. Massai haben vor zwei Jahren Kikujos vertrieben. Der ganze Apparat ist ausserordentlich korrupt. Allein 20 Millionen Gulden, vielleicht Dollar - das blieb undeutlich - für eine strukturelle Verbesserung der Krankenhäuser, bleiben liegen. Sie auszugeben, wofür sie bestimmt sind, bedeutet Arbeit, persönlichen Einsatz, erfordert schon eine Strukturierung des Einsatzes. Irgendwann sind sie wahrscheinlich einfach weg. Die Geschäfte sind, zum Kunden hin, vom Tresen bis an die Decke vergittert. Stehlen wird nicht als Missetat empfunden. Erwischt man dich, hast du Pech, dein Pech ist noch grösser, wenn deine Bestechung nicht funktioniert hat...
Mit uns laufen Luos und Kikujos, sicher ein Massai und auch Mischlinge. Eine Frau kostet noch immer ungefähr zehn Kühe. Kriegt sie keine Kinder, kann der Mann sie zurückschicken oder eine zweite nehmen. Schickt er sie zurück, muss der Vater die erhaltenen Kühe zurückgeben.
Heute sind wir für eine Nacht in einer Luxusunterkunft, einem Kloster. Mit Wasserklosett und Dusche; und Schlafzimmern, keinen Sälen.
Es ist ungeheuer dieses Land so zu durchqueren, mächtig schön. Wir sind augenblicklich 2000 m hoch. Das bedeutet, dass es ziemlich frisch sein kann - wenigstens morgens, abends und nachts. Die Felder sind gut bestellt...
Dass ich nach langem Fussmars das Ziel tanzend erreichen kann, hebt an ganz schweren Tagen die Stimmung. Ich setzte mich so selbst über die letzten Meter hinweg, die nicht enden wollenden, schwersten. Eigentlich ist jeden Tag irgendetwas Religiöses. Es wird akzeptiert, dass ich in dieser Zeit zeichne und schreibe. Ausserdem sitze ich neben einem der Geldkoffer. Alles unterwegs muss bar bezahlt werden und sogar in der Gruppe gibt es lange Finger...
Nach Eldama Ravine
15.08.
36 km
Patrick hustet, hustet die ganze Nacht.
Patrick hat eine Freundin. Sie kam einfach mit. Trägt seine Sachen.
Wunderschöner sehr schwerer Weg - keine 36 sondern 44 km.
Ich finde Steine zum Reinschneiden.
Die lineare - die kompakte Zeit.
Wie tief der berührte Raum reicht!

16.8.
Schlafen bis 6 Uhr. Gegen Abend gestern giesst es wieder. Wir sind dicht am Äquator. Nach dem Regen vorgestern verwandelten sich die sonst staubigen Strassen in tiefe Modderpfade. Das verlangsamt alles. Eins der Autos blieb stecken. Dazu die Überlänge der Strecke.

Ihre Bewegungen, ob schnell oder langsam, enden immer in einer sicheren Ruhezone, aus der sie wieder aufkommen.
Fort L. Nein, wir dürfen nicht rein. Wir befinden uns in einer alten Unruhegegend. Hier sitzen besonders solche Häftlinge, deren Identität es vor der Öffentlichkeit zu verschweigen gilt, für die es keinen Kontakt zur Aussenwelt zu geben hat. Das heisst, dass es viele solcher Gefängnisse geben muss. Jeder um den Hügel herum ist oder könnte ein Spitzel sein. Die Bank will kein Geld wechseln. Vielleicht weiss keiner der Angestellten, wie das geht oder ist kein Geld da. Die Gosse ist ein gemauerter offener Kanal, dieser Kanal ist das Abwassersystem. Der Postmeister, der Schlüsselbewahrer, ist nicht da, sein Büro leer, anrufen also nicht möglich. Abgesehen davon, dass der Schlüssel nicht da ist, ist es auch möglich, dass die Leitungen über Land gerissen sind, sich um einen Pfahl gewunden haben. Die Apotheke hat zu. Wir suchen eine andere. In jeder Pause, jeder geringsten Zwischenzeit stützen sie sich auf die Theke, sacken weg, müssen sich da wieder rausholen. Die westlichen Kleider passen nicht zu ihnen. Im Restaurant gibt es kein Essen, nur Bier und Sodas. Im zweiten nehmen wir auf alle Fälle kein Fleisch. Fons und ich schlendern über den Markt. Das Mädchen, bei dem wir eine Papaya kaufen, ist schwanger. Ihre Bewegungen verraten das. Dann sehe ich die Wölbung des Bauches. Sie ist dreizehn, vielleicht 14 Jahre alt. Die Kasse steht unter dem Plastiktuch, auf dem die Ware liegt, die paar Früchte, Bohnen. Sie tun sich schwer damit zwei Posten zusammenzuzählen. Alles taucht immer wieder zum ersten Mal auf. Getrocknete Fische aus Kisumu. Du brauchst dich hier nur auf die Strasse zu stellen, dann siehst, wie der Staat, das sich Organisieren, funktioniert. Wir kaufen noch geröstete Maiskolben.

Kizito unterbreitet mir lachend, er wolle Anastasia, unsere blonde blauäugige Tochter, zur Frau. Die Kühe können wir in Kisumu aushandeln. Von jetzt an darf er nicht mehr im selben Raum schlafen wie ich, reden wir uns, sehr ehrfürchtig, mit Schwiegermutter und Schwiegersohn an und lachen uns tot.

Nach Mwachu
17.08.
36 km.
Der Epileptiker macht sich unbeliebt, fühlt sich unbegriffen, zu kurz gekommen. Steine, als liefen wir über liegen gebliebene eingetretene Gesichter. Ein paar hebe ich auf. Wir sind 3000 m hoch.
Primitive, heruntergekommene Bretterverschläge: die Schule. Warten auf die Schlüssel.
Ich hocke mich hinter die Sträucher, halbwegs merke ich, dass ich mich in einem Ameisenzug befinde. Wie von einer Tarantel gestochen stürze ich weg. Reisse mir Schuhe und Socken von den Füssen. Das sind wahre Clownerien, die die Zwerchfelle erschüttern.
Jedes Mal hoffen wir - wegen der Temperatur - die höchste Höhe der Route erreicht zu haben.
Freundschaften zerbrechen. Die Gruppe könnte zerfallen.

Ihre Zungen sind rosa. Ihre Züge die uralter Masken.

Nach Nyaru
18.8.
32 km.
Die schmerzhafte Schönheit mancher Sicht. "Von jetzt an," sagt Hans, "kann es nur noch weniger schön werden." Nur wenn Österreich oder die Schweiz dein Massstab ist.

Nach 4 Uhr fängt es wieder an zu regnen. Wir sind 3048 m hoch.
Zum Gottesdienst, alle.
Wer bezahlt Lehrer, Schulgeld, Gebäude, wenn diese kirchlichen Schulgemeinschaften in die öffentliche Hand übergehen?
Ein bunter Abend. Naive Spielchen wie bei uns zu Anfang der Radiozeit. Charles schlägt mitten in der Nacht Krach, ihm sind Portemonnaie und Identitätskarte ins Plumpsklo gefallen. Auch das erschüttert unsere Zwerchfelle. Die Mäuse machen sich aus dem Staub. Jan scheisst einer Ratte auf den Kopf. Kühe tapsten am Nachmittag durch unsere Schüsseln mit Wäsche.

Nach Kaptagat
19.8.
23 km.
Ich spreche mit Jack und Fons, auch Jack ist Priester, über den Kodex des Lebens bei uns, den ich so nicht in mir hatte und habe, schwer lernen musste; über die Unterdrückung und Zerstörung des Rhythmus, der Melodie, des Blicks von Menschen - über den Prozess ihres wieder Aufdeckens.

Wir können nicht direkt nach Eldoret: Stammesunruhen.
Empfang auf der Strasse.
Die Stammeskämpfe kommen bis nahezu an diese Niederlassung heran.
Ein Chamäleon auf dem Zaun.
Wenn sie nur Klos mit Ratten haben, können sie nur Klos mit Ratten mit uns teilen.
Fons letzter Abend. Er zelebriert die Messe im Freien, ich gehe wegen seines Abschieds hin.
Wieder zeichne ich einen afrikanischen Menschensohn ans Kreuz. Es ist grösser als das Mutterkreuz.
Wir sitzen noch lange draussen. Der Sternenhimmel, alle Sternenhimmel saugen mich auf.
Ein Komet!

Eldoret
20.08.
24 km.
Die Kluft zwischen ihren hohen und breiten Jochbeinen und den vorstehenden Kiefern kann die Haut kaum überspannen.
Die Mc. Donald-Kultur nimmt auch hier überhand.
Es regnet.

Ich falle, kann mich gerade nicht mehr auffangen. Meine Anstrengungen lösen Lachen aus, nicht zuletzt bei mir. Als Kind schon falle ich über nichts und wieder nichts. Das hat nie aufgehört.

Festlicher Einmarsch in die Kathedrale. Das tut Hans gut. Kinder tanzen. Dann bekommen wir im Pfarrhaus Marmeladenbrote und Sodas.

Die Afrikaner knien abends nieder, beten den Rosenkranz: Priester aus unseren Reihen lehren sie, was mehr als eine Generation hinter uns liegt.
Die Integration des Tanzes der Mädchen in die Messe ist wie Kinderballett auf dem Dorf.
Josephina kniet vor dem Bischof nieder, er lässt sie.
Das Klo wimmelt von weissen fetten Maden.

Nach Ndalat
21.08.
25 km.
Zeit, wie wir sie kennen, ist linear, ist dichter, schwerer als ein Sonnenstein - ganz ohne Gewicht. In irgendeinem früheren Text hatte ich das aufgeschrieben und wieder gestrichen: es ist so.

Der Weg endet irgendwann im Schlamm, kommt wieder auf. Ich kaufe eine Binsenmatte. 150 Schillinge.

.... Die letzten Tage krakseln wir um den Äquator herum. Gestern am höchsten Punkt unserer Reise gut 3200 m hoch. Gegen Abend ziehen sich Wolken zusammen, regnet es.
In Nairobi habe ich via Mill Hill meinen Rückflug befestigen lassen... Am 6. September werden wir vom Ubanga-König (König von Bugunda) in Uganda empfangen. Das Weitere an Zeremonien kann viel sein oder wenig. Unterwegs wechseln wir Kreuze aus: es ist ja ein Pilgerzug. Die wenigen Male, dass das Kreuz, das sie uns für das unsere anbieten, nackt ist, zeichne ich ihm den Korpus auf. Bis jetzt sind drei kleine und ein grosser meiner Christusse hier zurückgeblieben. Die Afrikaner erkennen sich darin. Vielleicht ahne ich etwas von ihnen, es steht auch in meinen Zeichnungen. Ich kann das nicht in Worte fassen...
Armut. AIDS. Lebensfreude.
Wir sind rechtzeitig in unserer Unterkunft. Einer Schule. Es kann hier entsetzlich regnen. Als schütteten sie da oben ganze Eimer auf einmal leer. Es hagelt. Die Unterkunft: Rattenköttel, Küchenschaben, Staub und Staub, Mäuse. Bisher waren unsere Unterkünfte nur zweimal gefegt. Nie in meinem Leben habe ich so dreckige Plumpsklos gesehen. Wenn möglich, verschwinde ich hinter Sträuchern. Du fegst deine knapp 2 Quadratmeter, wenn so etwas wie ein Besen da ist, legst deine Schlafmatte aus. Auch die, die ihre Matte erst später auslegen, fegen erst. Das heisst, dass Staub und Küchenschaben manchmal zurückkommen.
Ich weiss nicht mehr so viel, obwohl ich wahrscheinlich überlaufe. In Mumias gebe ich den Brief auf. Ich habe heute eine Binsenmatte gekauft. Das vergrössert mein nächtliches Territorium zwei Handbreit.
In den nächsten drei Tagen noch ein paar Worte...
Nach Chepterwai
22.08.
30 km.
Nach zwei Drittel des Weges kommen uns Menschen unserer Schlafgemeinde entgegen. Die Leute im Dorf bestaunen uns.
Am Nachmittag wieder ein Platzregen, der sich gewaschen hat. Wir werden in unserem Unterkommen, einer Schule, beglotzt wie weisse Affen. Manche der Kinder und auch Erwachsenen haben noch nie einen Weissen gesehen. Sie müssen entsetzlich um unseren 'Laufirrsinn' lachen. Ein Weisser, der läuft, hat entweder ein kaputtes Auto oder den Verstand verloren; da aber auch Schwarze mitlaufen, handelt es sich sicher um Irrsinn.

Trotz des Regens haben wir die letzten zwei, drei Tage kaum genug Wasser. Man fängt einfach nichts auf. Wenn es regnet, ist es kalt - wir sind noch hoch. Morgen steigen wir runter nach Westkenia. Von da an ist es nach den ersten zwei Stunden, also um 8 Uhr morgens, schon heiss.

Nach Malava
23.08.
20 km,
Abstieg.
Nach dem Durchwaten einer Furt tanzen wir mit einer Horde Kinder bis Malava. Noch glänzt der Boden vom Regen.
Der Bischof war zum Fluss gekommen, hat aber nicht gewartet.
Ich schneide und färbe mir die Haare, schneide Jack die Haare.
Waschen und die Wäsche rein, der Himmel ist schwarz. Platzregen. Obwohl es nicht so aussieht, befinden wir uns im Bereich des Tropenwaldes.
Der Bischof wolle um 15 Uhr kommen. Es ist 16 Uhr 15. "Er ist wichtig, darum lässt er uns warten", sagt Jan.
Der Bischof kommt mit Sodas. Ich werde als das laufende Wunder vorgestellt, für den Zug ein Zeichen.

... Ein steiler Abstieg von ca. 500 Metern. Dann eine Furt. Jetzt sind wir in Westkenia. Mitglieder der einen Gemeinde überhändigen uns Mitgliedern der anderen. Vor zwei Jahren noch haben sie sich bis aufs Blut bekämpft; vielleicht gestern noch und morgen wieder. Der Empfang im 'Westen' ist stürmischer. Ich tanze mit ihnen. Sie lachen, ich lache. Ich bin von einer Horde Kindern umgeben. Was sie barfuss und mit so zerschlissenen Kleidern tun, dass ihre Körper kaum bedeckt sind, tue ich mit Stiefeln und Tagesbepackung und bekomme auch noch einen grünen Zweig in die Hand gedrückt...


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