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25.07.
Lidy und ich sitzen im Garten der Offiziersmesse. Sie kommt mit. Ich schreibe und probiere den Aufprall, das durch die Luft Fliegen und Niederkommen zu zeichnen. Der Gefangenenwärter schüttelt den Kopf, lacht. Schreiben ist für ihn komisch. Er kann nicht schreiben. Die Jungen, die er bewacht, behandelt er wie Sklaven.

Gegen 10 Uhr kommt der Krankenwagen. Vor mir hockt ein Huhn. Bekennt sich der Chauffeur inzwischen schuldig, geht es schnell, wenn nicht, kann es sich Stunden, Tage hinziehen. (Henris Führerscheinpapiere nicht vergessen.) Der Fahrer rast wie ein Irrer.
Zur Polizeipräfektur. Der Offizier von gestern. Er fühlt auch mit dem Chauffeur mit oder will mir eine Falle stellen. Der Chauffeur hat sich nicht schuldig bekannt. Wahrscheinlich sind sie alle bestochen. Die Bescheinigung für Henri. Um 2 Uhr im Gerichtsgebäude. Sie bringen uns zur Caltex Tankstelle. Kaffee, Würstchen, ein Fladenbrot. Warten auf den Krankenwagen. Zum Gerichtsgebäude.

Der freundliche Offizier spricht noch einmal mit mir. Und noch einer. Und noch einer. "Wer ist Ihres Erachtens schuldig, Sie, die Situation, der Chauffeur, die Gruppe oder die Polizei?" "Der Chauffeur." Ich weise jeden der Offiziere darauf, dass ich gekommen bin meine Pflicht im Namen der Gerechtigkeit zu erfüllen, wie gebeten. "Ich stelle keine Forderungen an den Chauffeur. Ich lebe, bin nicht ernsthaft verletzt. Das ist ein Wunder. Da ich lebe, ist er kein Mörder, auch das ist ein Wunder. Aber er muss seine Fahrlässigkeit gestehen. Dann möchte ich ihm die Hand geben." Wir haben einen gemeinsamen Punkt, ob er sich schuldig bekennt oder nicht. Jemand in Handschellen. Auf einmal ist Chris da. Er hatte etwas in Voi zu tun, sieht uns irgendwo vorbeifahren, ist misstrauisch. Der Chauffeur bekennt sich schuldig. Die Busse beträgt 3500 Schillinge. Er fühlt es also. Sein Clan hilft ihm. Es gibt kein Gerichtsverfahren gegen ihn. Die Offiziere sind erleichtert, danken mir für die Mitarbeit. Im Gerichtssaal stehen Tonnen, liegen Autoreifen. Im umgekehrten Fall hätte ich endlos blechen müssen. Unter aller Augen gehen der Chauffeur und ich auf einander zu - ich entferne mich dabei weiter von Lidy und Chris, als er sich von seinem Beistand, und das ist ein ganzer Haufe -, wir reichen uns die Hand. Mit meiner Linken berühre ich sein Gesicht, seinen Hals. Sekunden, die eine Ewigkeit sind, stehen wir Auge in Auge.

Mit dem Krankenwagen zum Bahnhof von Kenani. Neben dem Fahrer nimmt noch ein Polizist Platz, hinten sitzen Lidy und ich und noch vier bewaffnete Polizisten, unsere Eskorte für die nächsten vierundzwanzig Stunden. Ein Affe hockt am Strassenrand. Die Sonne steht schier orange in klarem Blau. In die Ränder des Fahrdamms ist regelrecht rein gebissen.

Kenani Railway Station
Wir schlafen auf einem erhöhten Betonstreifen mit Rückwand und Dach. Unsere Waden ragen über den Rand. Sie setzen die rote Erde mit weissen Steinen ab: ihr Garten.

Ganz hinten, auf der Bankette, schleppte sich der wuchtige George an zwei Stöcken,
vor ihm lief Marita,
vor Marita ein bewaffneter Polizist hinter dem grünen Peugeot mit Blinklicht und davor ein zweiter, auf dem Fahrdamm,
davor ich, auf der Bankette,
vor mir der Ire mit seiner Tochter und den drei jungen Tirolern...
Marita sprang in die Büsche, der Bus raste links am ersten, am Auto und zweiten Polizisten vorbei, rammte mich, raste weiter, die Tochter des Iren sprang in die Büsche, er sah mich, die Hände voraus, fliegen. Für die Tiroler glich ich schon einem mit übergrosser Wucht geschlagenen Tennisball...

Die Polizisten am Kopf stoppten den Bus.

Theo schläft links, Jan rechts von mir. Wieder rasen die Züge nahezu durch uns hindurch.

Josephina bekommt keine Kinder. Ihr Mann schickt sie zurück zu ihrer Familie. Wertlose Frau! Sie geht zur Gruppe von Hans. Das Land für Hans' Projekt ist von ihrem Vater.

Maritas Mann stirbt nach drei Kindern. Gemäss der Sitte untersteht sie von da an der Obhut ihres Schwagers. Sie weigert sich. Geht zur Gruppe von Hans. Sie ist Krankenschwester. Ihr ältester Sohn studierte in Amerika, sollte, wollte Priester werden, studiert jetzt Philosophie in Nairobi.

Zweimal sehe ich mein eigenes Gesicht vor mir, es ist noch nicht bei mir; das meiner Mutter, meines Bruders.

An einer Tankstelle hört Fons, dass ein Mitglied einer Pilgergruppe im Tsawopark von einem Löwen gefressen worden sei.

Mtito Andei
26.07.
Felicitas hustet. Dabei schüttelt der ganze Leib. Das Tuch um den Leib nehmen die Frauen zum Abtrocknen, Naseschnauben. Sie singt und tanzt mit den Kindern, schaukelt die wuchtigen Hüften.

Morgen will ich eine Stunde mitlaufen.

Theo liest ein indisches Papier über Religionen, meditiert, hat Durchfall, ist hoch empfänglich für menschliche Ausstrahlung.

Polizisten und Ranger verlassen uns.

Kambu
27.07.
15 km.
Die Brunnen sind trocken.
Ich schlafe und schlafe; seit gestern auch wieder nachts.
Ob ich erschrocken gewesen sei? Ich konstatierte ganz nüchtern. Dann flog ich aus dem Schwarz wieder raus. Mehr weiss ich nicht. Mein Leib hat gut gehandelt, mein Verstand hätte das nicht geschafft.

Als vergässen sie alles sofort wieder, als funktioniere ihr Kurzzeitgedächtnis nicht, oder anders. Am nächsten Morgen müssen sie mit allem wieder von vorn anfangen. Eine Mauer der Abwehr? Ist das Fassungsvermögen der innerleiblichen Scheunen erreicht? Ihre ausserleiblichen Scheunen sind noch jung. Es muss sich irgendwo festsetzen, sie können ja auch Streitigkeiten jederzeit wieder aufrufen.

Luke von den Philippinen, Chirurg, Nonne, und Cathy, die mit ihr zusammenarbeitet, treffen ein. Sie begleiten uns bis Nairobi. Luke leitet in den Elendsvierteln Nairobis ein Vorbeugeprogramm für Frauen. Sie ist schön, trägt weder Haube noch Schleier. Henri verabschiedet sich.

Nach Kibwezi
28.07.
27 km.
Von 7 bis 9 Uhr laufe ich mit, sitze dann wieder im Wagen. "Bei der nächsten Rast musst du tanzen", sagt Luke und dreht das Radio auf. Ich tanze, etwas zu wüst, verzerre mir etwas bei den Rippen. "Bei der nächsten tanzt du wieder", sagt Luke.

Wir schlafen in der Kirche. Überall liegen Mauseköttel. Die meisten hinter dem Altar. Entweder ist schon jahrelang nicht mehr gefegt worden oder es handelt sich um ganze Horden Mäuse.
Mittagsschlaf. Traum. Ich kenne das Gesicht nicht. "25 Jahre", sagt er, "und jetzt hier." Ich zeichne wieder Christus ans Kreuz. Wieder bleibt in der nächsten Gemeinde ein schwarzer zurück.

A verdrischt regelmässig seine Frau. Das letzte Mal musste sie für zwei Tage ins Krankenhaus. "Gott ist mit uns, Sabina", sagt er.

Meine Seifendose ist gesprungen.

Nach Makindu
29.07.
23 km.
Ich laufe von Anfang an mit. Beim Anziehen der schweren Schuhe merke ich, dass auch die Wasserbettsohlen in den Schuhen, die ich auf dem Rücken trug, geplatzt sind. Heiliger Rucksack!
Durch die Berge.
Affenbrotäume sind Bilderbuch-Bäume. Manche stellen ihre Innereien zur Schau. "In manchen wohnen Menschen, sagt man", sagt Cathy.

Erst wuchs der Baum um den Fels, verleibte sich ein Stück davon ein, löste es dabei aus der Gesamtmasse. Das Einverleibte fiel aus ihm heraus.
Das Rot der Erde.
Das Schwarz der Menschen.

Eine Frau steht am Wegrand, ist weg, ist mit dem Nötigsten wieder da, kommt mit, auf blossen Füssen, trägt das Kreuz.

Rudel von Kindern rennen uns entgegen, laufen mit uns mit. Hosen und Hemden vollkommen zerlöchert.

Wir schlafen in einem neuen Haus des Ordens. Um die Sauberkeit der Räume ist es gleich wieder geschehen. Die Erde hier ist tiefrot und locker.

Mit Theo in den Ort. Ich finde eine kleine Taschenlampe, meine ist hinüber, aber keine Binsenmatte. Ich will eine Binsenmatte, will mein nächtliches Territorium etwas vergrössern. Die Tresen der Geschäfte sind zum Kunden hin vergittert. Wie bei uns Video-Kameras bewachen hier oben auf den Regalen liegende junge Männer die Läden.

"Haben die wilden Tiere einen von euch gerissen?"
"Nein."
Ob ich Wut oder Rache dem Chauffeur gegenüber empfände?
Nein.

"Bist du nicht in der verkehrten Baracke", fragt Cathy. "Nein, du gehst von verkehrten Vorstellungen aus." Cathy ist Laienschwester. Luke schläft in ihrem Auto.

An der Fernstrasse steht ein Sikh-Tempel. Reisende können da kostenlos essen und schlafen. Das Gelände strahlt Ruhe aus, ist sauber. Als wir nach dem Abendessen gehen, begrüsst uns ein alter Inder, schenkt Fons und mir eine Papaya.
"Sie spritzen einen bestimmten Stoff der Papaya vor Operationen", sagt Luke. "Du wirst ganz gesund, es verlässt dich einfach."

Nach Simba
30.07.
29 km.
Die ersten zwei Stunden im Auto. Das Land wird grüner. Noch ist es sehr trocken. In Simba steht schon ein Tank Wasser für uns. Das Laufen fällt mir heute schwerer als gestern. Dass nicht mehr Unfälle passieren!
Aus einem Bus steigen zwei Männer. Einer läuft hinter uns her, mit Stock. Ich liege weit zurück, renne um wieder Anschluss zu bekommen. Hier wird schnell geschlagen. Die Anstrengung löst Verkrampfungen. Die Männer sahen das Kreuz, stiegen aus, liefen hinterher.

Empfang auf der Strasse, Massai. Sie nehmen uns gleich wieder das Gepäck ab. Ich weigere mich. Der Rucksack hat mir das Leben gerettet. Ich kann nicht mein Leben lang mit diesem Rucksack auf dem Rücken laufen, nur weil er, so wie er gepackt war und eins mit meinem Leib, im günstigsten Winkel gerammt... Manche laufen, als hätten sie Gummiglieder.
Blechhütten, Lehmhütten, Menschen in zerfetzter Kleidung.
Ohne Wasser gegen die rote Erde.

Die Klassenräume liegen voller Köttel. "Papayakerne." "Riesenmauseköttel."
"Papayakerne."
Die rote Erde kriecht in Kleidung und Poren, setzt sich fest. Dreckig, wie sie sind, zur Kirche. Ich lege mich schlafen.
In einem der Räume kommen Männer zusammen, schreien sich und alle gleichzeitig an - nein, beten.
Wir sitzen mit unseren Füssen in Sagrotahnwasser.
Neue kommen hinzu.
Der Missionar hier kommt aus Mexiko.
Kinder, Frauen, Krüppel.
"Jambo!"

Aus den grossen uralten Köpfen auf meinem Papier kommen kleinere.

"Ich will Reis", sagt das Kind.

Fledermäuse, im Gebälk genau über uns, scheissen und pinkeln auf unsere Sachen. Jan und Charles und ich ziehen in den Essraum.

Mit Luke und Cathy zum 'Hunters Lodge'. Wir setzten uns unter den Marabubaum, der so heisst, weil Marabus in ihm nisten.
Ob ich mit Strassenkindern in Nairobi Theater machen wolle.
Meine Wirbelsäule ist in Ordnung.

Nach Mbitini
31.07.
25 km.
Sie singen für mich. Heute bin ich 55 Jahre alt - oder fange meinen achten Tag an. Der gehört nicht mehr zur Schöpfungsgeschichte.
Abseits der Fernstrasse, durch roten Staub, schwarzen, roten, ein nicht ganz trockenes Flussbett. Und dann durch Dünen.

Es gibt reichlich Wasser.

Von auch kaltem Fanatismus sprechen die Gesichtszüge der Koreanerin, die seit gestern bei uns ist, auch sie ist Laienschwester.

Um 17 Uhr Messe. Die Priester sprechen den Gläubigen zu, wie schwach begabten unmündigen Brüdern und Schwestern. Mädchen tanzen vor dem Altar. Unter jeder wahrhaften Ausbildung, jedem wahrhaften Lesen, kann die Schicht Christentum hier einbrechen, an jeder Kreuzung durch stärkere Allmacht, gekoppelt an Angstherrschaft, zu Lebzeit nie erreichbaren Himmeln und einem extra Stück Brot, sei es für Leib oder Seele, abgelöst werden.
Danach führen die Kinder draussen etwas auf, singen und tanzen. Der Pater erzählt ihnen, dass ich heute Geburtstag habe. "25 Jahre!" "55." "Das verstehen sie nicht." Erzählt er von dem Verkehrsunglück, hält ein Kruzifix hinter sich, hebt es hoch: "Da kam Gott! Gott ist gross! Lang lebe Sabina!"
Die Kinder tanzen mit mir, es sind alles meine Gesichter.

Wein, ich habe Wein besorgen lassen, Essen.
Hans, Eugène, Lidy, Vera, Fons, Mathew, Jaap und ich gehen noch auf ein Bier zum Pater. Der Pater ist Ire. Skaisessel mit grobmaschigen hellblauen Häkeldeckchen. Fernseher. Kühles unpersönliches Heim. Macho-Benehmen unterm Kreuz. Noch ein Lehrer kommt und noch ein schwarzer beinahe Priester.
Ihre eigentlich geschlossenen Bewegungen brechen auf, in diese offenen Wunden kann sich alles Mögliche einfressen, -nisten, zur Blüte kommen.

Nach Karikeu
01.08.
20 km.
Wieder abseits der grossen Strassen. Die rote Erde, die schwarze, gelbe. Zu zehnt bereiten wir unser Lager in der Kirche, sie ist sauberer als die Schlafsäle und wir haben Platz. Wir finden im Ort eine blau gestrichene Kneipe. Auf Knien betet Charles, bevor er sich auf seine Matte legt, demonstrativ den Rosenkranz.

Nach Kilungo
02.08.
25 km.
Zwei Afrikaner wollen von mir gezeichnet werden. Das ist noch zu riskant.
Nahe der Wasserstelle stürzen sich Ameisen aus dem Nichts auf weggeworfene Schalen. Hier erwärmen sie das Wasser mit Sonnenenergie.

Die Betten knarren und quietschen bei der geringsten Bewegung, hängen durch. Felicitas hustet. Auch sprächen sie Bass, wer sie hört, weiss, dass da Frauen unter sich sind. Spät dann kommen die, die uns morgen führen, suchen ein Bett. Die Schatten der Bettgestelle, der Körper, die Geräusche... wie Theater.

Nach Kola
03.08.
25 km.
Die Schönheit verschlägt mir die Sprache. Wir sind 1500m hoch. Es ist kühl, grün.

Den ganzen Tag keine Stille.

...Unsere Horde zieht durch das Landesinnere, abseits des Mordweges Mombasa/Nairobi, hält gut zusammen, hat unter diesen Umständen auch keine andere Wahl. Ein Kreuz wird von Station zu Station getragen. Manchmal laufen Führer vom Ort mit: Abkürzungen und Vermeidung der Fernstrasse. Es geht mir gut, und heute, wo ihr in Amerika landet, schreibe ich euch von ein paar Tagen, die für mich anders verliefen als für die Gruppe. Am sechsten Lauftag, von Voi bis zum Gefängnis in Manyani - wir liefen unter Polizeieskorte - rammte mich ein Linienbus; ich flog hoch in die Luft und landete auf dem Boden. Bis auf eine winzige Muskelprellung bei der rechten Hüfte, eine winzige Muskel- oder Sehnenzerrung bei den rechten Rippen und eine minimalen Schürfwunde am Kinn ist mir nichts geschehen. Nicht einmal meine Hose ist kaputt. Nennt es ein Wunder oder die Arbeit eines ganzen Heeres von Schutzengeln. Keine rückwirkende Utopie über alles, was hätte geschehen können, ändert etwas daran.
Ich habe also den Erste Hilfe Posten des Gefängnisses, in dem wir jene Nacht schliefen, jede Menge Polizeioffiziere, die Röntgenstation des Krankenhauses, die Polizeipräfektur und am nächsten Tag auch noch den Gerichtssaal von Voi kennen gelernt, denn trotz der Zeugenaussagen der vier uns begleitenden bewaffneten Polizisten, wollte der Chauffeur seine Schuld 'fahrlässiges Fahren' nicht eingestehen. Hier das Geschehen. Ihr müsst dabei bedenken, dass hier Linksverkehr herrscht.
Der volle Bus fuhr überschnell. Der Chauffeur negierte das 'Langsam-' und 'Halte-Signal' des Polizisten, konnte rechts nicht überholen, das hätte einen frontalen Zusammenstoss mit einem entgegenkommenden Laster zur Folge gehabt, konnte nicht mehr oder überhaupt nicht bremsen, hätte, wäre er auf seiner Spur geblieben, den Polizisten überfahren und das Begleitauto gerammt. Er entschied sich für die linke Bankette. Ich fühlte einen entsetzlichen Aufprall, hatte einen 'Black-out' - kein anderes Wort bezeichnet das besser -, fand mich auf dem Boden, ganz nahe der Sträucher, auf Knien und Unterarmen wieder; zusammengerollt wie eine Kugel, mich entfaltend wie ein Embryo, umgeben von viel Volk, entgegen der Laufrichtung. Der Rucksack, so wie er bepackt war, fungierte als meine Knautschzone. Man stellte an Ort und Stelle fest, dass nichts gebrochen war, beim Erste Hilfe Posten im Gefängnis, dass ich keine inneren Blutungen hatte, bei der Röntgenstation in Voi, dass meine Wirbelsäule vollkommen in Ordnung ist. Nach drei vollen Ruhetagen, Ibupreven und Schlafen, Schlafen, konnte ich wieder zwei Stunden laufen. Am Tag danach vier Stunden. Am Tag danach fünf Stunden, an meinem Geburtstag die ganze Strecke. Ich brauche keine Tabletten mehr. Auch die Zerrung bei den Rippen ist so gut wie abgeklungen. Einer aus der Gruppe sagte: "Du flogst wie ein Vogel...." Ein anderer: "... wie ein Tennisball..."
Ich lebe und mein Jubel darüber ist übergross. Teilt ihn mit mir, denkt nicht daran, was hätte geschehen können.
Da der Chauffeur sich weigerte seine Schuld zuzugeben, musste ich zum Gericht. Die Polizeioffiziere waren gut und nett und und... Ich wurde also am nächsten Tag von der Polizeipräfektur aus mit dem Krankenwagen abgeholt... kann jetzt beinahe darüber lachen und das Lachen tut auch ohne Pillen beinahe nicht mehr weh. Die Polizeipräfektur wollte sich die Chance des Berechtens des Chauffeurs nicht entgehen lassen... Vielleicht wurde das ganze Schauspiel auch nur aufgeführt um uns Europäern zu zeigen, dass Kenia ein Rechtsstaat ist...
Sprach noch mit dem und dem und dem Polizeioffizier, sagte immer wieder: "Ich bin gekommen um meine Pflicht im Namen der Gerechtigkeit zu erfüllen. Der Chauffeur ist schuldig. Es ist ein Wunder, dass ich lebe und er kein Mörder geworden ist. Ich stelle keine Forderung an ihn", und dass ich ihm nach seinem Geständnis die Hand geben wolle. Er gestand. Die Gerichtsverhandlung wurde in letzter Minute überflüssig. Ich reichte dem Chauffeur die Hand, berührte sein Gesicht, seinen Hals. Seine Busse beträgt 3500 Kenia Schillinge, das sind 100 Gulden, das ist ein Monatsgehalt. Er spürt es also, auch wenn sein Clan, der um ihn war, ihm helfen wird.
Ich bin in guten Händen, eine philippinische Ärztin läuft mit...
Nach Machakos
04.08.
Ca. 30 km.
Im Morgengrauen die Fünferformation der schwarzen Ibisse.
Eine Windhose wirbelt rechts von uns Maisblätter hoch, vor unsere Füsse, erliegt auf dem Feld links.
Schwerer Sand.
Seit wir unterwegs sind, sind hier die ersten WC's, die ersten warmen Duschen. Charles weicht nicht mehr von meiner Seite. Morgen gut 40 km. Wir werden uns danach zusammenharken müssen. Die Voraussicht auf einen ganzen Ruhetag, macht viel gut und wirft seine Schatten voraus, der Leib hält sich weniger straff in Zaum, wird nachsichtiger mit sich.

Patricks Frau stirbt in der Woche bevor er sich für diesen Marsch nach Mombasa aufmacht.

In der Nacht, die Bierpisserkarawane zum Klo.

Nach Athi River
05.08.
40 km.
Nach 18 km wieder 20 km entlang der Mordstrasse Mombasa-Nairobi. Wieder überholt - diesmal ein Laster - Lukes Wagen links. Gut eine Stunde laufen wir durch ein umzäuntes Gebiet.
Kein leichter Tag.

Es gibt kaum Wasser. Mädchen tanzen für uns. Sie binden sich dazu alle möglichen Tücher um die Hüften.
Eine Hochzeit. In westlicher Kleidung mit offenen Nähten, zerrissen, geflickt, zusammengezogen; komische Hüte, lila, mit Schleier.

Um 7 Uhr Messe.
Morgen um 12 Uhr Messe in Nairobi.

Wieselartige Tiere huschen, hauchen vorbei. Schädel von grossen Tieren. Zugameisen.

Patricks Frau ist wahrscheinlich an AIDS gestorben. Alle Frauen seines Umfeldes, die für ihn in Frage kämen, seien HIV positiv.

Nach Nairobi
06.08.
27 km.
Morgennebel. Kein Wasser zum Waschen. Überleben auf der Bankette.

Kommst du über diese Strasse ins Zentrum, siehst du keine Armut. Ein junger Massai mit einer Rinderherde sorgt für einen Hauch Folklore, auch wenn es für ihn keine ist. Zur Kathedrale. Eine Kolping-Gesellschaft aus der Nähe von Münster. Suppe im kleinen Park seitlich der Kathedrale. Drei Stunden warten auf den Bischof, der nicht kommt; Hans will das Warten nicht aufgeben. Das Klo, für x Schillinge pro Benutzung, spottet jeder Beschreibung. Eine Andacht, nur für uns, ohne Bischof. Wir schlafen in einer Schule. Müssen auf die Zimmerschlüssel warten. Müssen waschen.

Mit Luke, einer anderen Mitarbeiterin von ihr und der Koreanerin gehe ich abends in ein gepflegtes China-Restaurant. In der Tiefgarage des Zentrums stehen bewaffnete Uniformierte.
Luke hat kein Kunst-, sie hat ein Dekorationsverständnis. Und das ist auf abscheulich kitschige Tiere aus Glas oder auf Seide gemalt fixiert. Zwischen diesem anspruchslosen Nippes, mit dem sie sich so gern umgibt, wie sie sagt, und den Elendsvierteln, wo sie arbeitet, herrscht eine ungeheure Kluft - oder gehören sie unter einem gewissen Horizont doch zusammen? Theater mit Strassenkindern. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie weiss, was Theater bedeutet, dass das eben keine Tänzchen vor dem Altar sind, keine Himmel versprechenden Predigten.

07.08.
Die Stadt besteht aus etlichen scheinbar willkürlich angeordneten Menschengewimmeln, auch hier die einnehmende träge Geschmeidigkeit, unter der sich alles mögliche, weithin unbemerkt, entwickeln und unversehens zuschlagen, eine andere Richtung einschlagen kann. Niedliche Bettelkinder haben Scheisse in der Hand. Gibst du nichts, schmieren sie dich ein, ob du weiss bist oder schwarz. Der Markt. Der strenge Geruch im Schlachtteil. Ich brauche eine Reservehose. 700 Schillinge. Essen. Anrufen gelingt nicht. Tee. "You are the most striking woman I have ever seen, may I take a photograph of you? Thank you."

Wir essen im Haus des ersten Sekretärs der Niederländischen Botschaft. Ich ziehe die neue Hose an, die Afrikaner machen sich fein: Fliege, Sakko, Hut. Wo sie das alles herzaubern! Die Niederlande mitten in Afrika! Dann ist halbwegs der Schlange das Fleisch nahezu alle.

Von jetzt an begleitet uns Wim. Wim ist Holländer. Er ist Zeichenlehrer in einer Schule unweit Kisumus, seine Frau ist da Ärztin.


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