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Nach Mariakani
19.07.
40 km.
Um 2 Uhr stehen der Koch und Felicitas auf. Felicitas ist schwer, hustet, hustet die ganze Nacht. Anastasia kreischt.

Das Frühstück zieht uns an wie verwesendes Fleisch Fliegen.
"Brüder und Schwestern in Jesus, eine Bekanntmachung: Pro Kopf ein Ei!", sagt Josephina. Jeder nimmt sich sein hart gekochtes Ei. Josephina ist Hans' rechte Hand.
Ein gemeinsames Lied. "Seek ye first the kingdom of God and its righteousness, and all these things shall be added unto you, hallelu-halleluja. Halleluja. Halleluhuja." (Suchet erst das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit und dies alles wird euch hinzu gegeben werden, halleluja...) Ich singe nicht mit, ich mag das Lied nicht, abgesehen davon, sind wir mit eigener Küche unterwegs, haben das Essen für die 50 Tage vorausbezahlt und wissen, dass wir jede Nacht ein Unterkommen haben. "Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes."

Es regnet nicht mehr. Um uns herum herrschen noch Dunkel und Stille. Der Wächter öffnet das Tor. Vorn läuft Jan mit dem Doppelkreuz, Hans an zwei Skistöcken, er hat seit ein paar Jahren eine Kunsthüfte, Charles aus Sega, der nach zwei Stunden das Kreuz übernimmt, laufen die Leute aus Kisumu. Lidy geht auch an zwei Skistöcken, auch ihre Hüfte verschleisst mehr und mehr. "Jesus und Maria", stimmen die Leute aus Kisumu an. Der Verkehr ruht noch. Es herrscht Linksverkehr; wir laufen rechts in der Gosse. Die zugesagte Polizeieskorte ist nicht gekommen. Manche der aufgereihten Bündel unter dem Dach der Markthalle heben die Köpfe. Wir müssen für sie ein irrwitziger Traum sein: der eher mickerige Gesang, die schweren Schuhe, doch nicht im Gleichschritt, weisse Gesichter im Schein von Taschenlampen, ein Doppelkreuz.

An Holzkohlefeuerchen sitzen Posten mit Wollmützen vor vergitterten Türen. "Jambo." Um 5 Uhr bewegt sich unser Zug immer noch tapfer singend unter der aus verknautschenden Lautsprechern dröhnenden Stimme eines Imams vom Band, entlang Kreischen und Grölen aus Discos, die jedes Mal, wenn ihre Türen aufgehen, unter Schwallen heisser Musik Besoffene auf die Strasse kotzen, den übervollen Wohnblocks, dem wunderschönen Holzhaus im Kolonialstil, das mir am ersten Tag schon auffällt, der Zementfabrik, dem Lehmhüttenstadtteil, wo Charles' Bruder wohnt, entlang Lastwagenparkplätzen mit wach werden Chauffeuren. Manche liegen zusammengerollt unter ihren Lastern. An Bushaltestellen stehen die Ersten, die in die Stadt wollen. Sie schalten gleich morgens diesen gradlinigen wie aufgezogenen Lauf ein. Es graut. Huren lachen noch. "Jambo!" Allgemeines Erwachen, unser Gesang, Anlassen der schweren Motoren. "Jambo!" "Kampala!" "Hei!" Um 6 Uhr lassen wir uns rechts auf einer Grasfläche nieder. Ein paar Büsche! "Wie geht es deinen Füssen?" "Wie geht es dir?" "Danke gut." "Danke."

Zehn Minuten Rast für das Verrichten der Notdurft, einen Schluck Wasser, ein Stück Brot, kurzes Sitzen, uns Recken. Unsere Autos fahren vorbei. Im grünen Peugeot, den Henri fährt, steht ein Kanister abgekochten kalten Wassers, steht heisses Wasser, heisser Tee (Tchai), heisses Milchwasser, Pulverkaffee, Kakao und Ugali, liegt Obst; für von der nächsten Rast an. Ugali ist eine grau transparente Hirsesuppe, der Kalk zugefügt ist. Heute zum Frühstück steht dieser Giesstopf schon da. Du isst oder nicht. Henri ist Flame, Missionsbruder, klein, dick. Er arbeitet bei den Massai.

Etwas gespenstisch Naives haftet unserem Kreuzzug durch die morgengraue Stadt, unter der verformten Stimme des Imams, entlang dem Grölen aus den Discos, dem Anlassen der schweren Motoren an.

Der wuchtige George ist kaputt. Seine Hüften sind ziemlich unbeweglich, er scheint eine Wunde am Fuss zu haben. Sein Hemd trieft. Bei der zweiten Rast wird er in eines der Autos bugsiert.

Wir laufen auf der rechten Strassenseite, wenn es ihn gibt, auf dem Seiten- oder Parallelpfad. Eine der Rasten heute halten wir am Rande eines Feldes, auf dem auch Kakteen stehen, einem abgesetzten Stück Land. Ich verschwinde hinter einem Kaktus und denke, dass ich in Holland nie in ander Leute Gärten schisse. Die Notdurft verrichten bedeutet, dass dir zum Essen, Trinken und Ausruhen weniger Zeit bleibt. Die Skistöcke stampfen immer verbissener. Viele sprechen schier ununterbrochen. Metallene Stimmen sägen an Nerven. Die Männer schlagen ihr Wasser überall unterwegs ab, drehen sich kurz zur Seite. Bei noch einer Rast, diesmal links des Weges, zwei Stunden vor Ziel, hätte ich am liebsten die Schuhe gewechselt. Ich habe Sandalen im Rucksack. Meine Füsse mögen keine Schuhe. Ich creme sie ein, ziehe doch die schweren Biester wieder an. Reiche die Creme weiter. Auch schwarze Füsse sind müde, ihre Fersen viel breiter als unsere, die Schuhe, die sie tragen, nicht für ihre Füsse gemacht und weniger stabil. Hans kümmert sich um die ersten Blasen.

An einer Tankstelle kurz vor Ziel gibt's Sodas. Der Bettler am Boden kriegt auch eine. Einer gibt ihm eine Handvoll Erdnüsse. Einer schmeisst ihm eine Münze hin. Dann bekommt er noch eine Cola. Gierig trinken sie in sich hinein.

Ich bereite mein Lager im selben Raum wie der kleine Lwanga und Charles und Charles und George und einige für mich noch Namenlose. Acht Schüsseln mit Sagrotahnwasser stehen für unsere Füsse bereit und Knorrsuppe und Brot mit Margarine. Und für jeden ein Bier oder eine Soda.

Hans massiert Füsse und Waden der jammernden Lucy. Sie sind von innen leer gebrannt. Ich übernehme das von ihm, es gibt noch Blasen. Lucy schläft ein. Und Maritas Füsse, noch ein Paar und noch ein Paar. Ich wasche mich, esse meine Suppe mit Brot, massiere noch zwei, drei Paar Füsse, zeige ihnen, wie sie das selbst tun können. Schlafe. Mir ist weder zum Zeichnen noch Aufschreiben zumute. Die Sorge um das Allernötigste pfercht alle Zeit. Vom ersten Tag an muss du damit leben, dass für das Verrichten der Notdurft nur wenig Zeit ist, sie auf stinkenden Plumpsklos oder offenem Feld verrichtet werden muss, es kein faserreiches Brod gibt, Cola stopft, Wasser in erster Linie zum Trinken, Essenkochen und peinlichen Reinhalten der Töpfe, Kessel, Pfannen, des Geschirrs da ist, dann erst für die müden Füsse, zum Waschen und dann erst zum Waschen des Allernötigsten und dann erst der Haare und dann erst der Kleidungsstücke, die auch ungewaschen getragen werden können.

Morgen brechen wir erst um 5 Uhr auf.

Nach Samburu
20.07.
30 km.
Der Tee ist nicht fertig, die Hirsesuppe auch nicht. "Gleich nach dem ersten Tag schon", knurrt Hans, "schwindet der Einsatz." Gibt es mehr Blasen als gestern, spürt der Leib, dass es gestern sehr viel war.

Die Landschaft wird dorrer, roter, staubiger. Die Palmen, den Einfluss des Ozeans lassen wir hinter uns.

Schwarze Leiber rasten im Laufe der Zeit genauso ein wie weisse. Die Beweglichkeit, die wir an ihnen so bewundern, ist keine lebenslängliche Selbstverständlichkeit. Was ihnen bleibt, ist dieses Fluidum des Gerolltwerdens, das Gang und Gebärden träge Geschmeidigkeit verleiht, auch wenn sie rennen.

Die Füsse in Sagrotahnwasser.
Der gemeinsame Schlafraum misst 10 x 10 m. Dann bekommen wir noch einen Raum. Das Klo - ich gehe in den Garten.
Ich muss mich waschen - morgen früh, wenn die anderen noch schlafen.
Die paar gewaschenen Sachen hängen wir in Sträucher und Bäume, auf eine Leine, die da hängt.

Um 2 Uhr nachts rast der Zug Nairobi-Mombasa vorbei.

Nach Mackinnon Road
21.07.
34 km.
Wie immer bin ich lange vor Ablauf des Weckers wach. Gehe raus. Bekomme eine Schüssel Wasser von Felicitas, habe die Waschstelle für mich.
Unendliche Ruhe, Weite des Sternenhimmels. Theo liegt draussen.

Wegziehendes letztes Dunkel, zersprochen.

Bleiben die Hüften beweglich, fällt der Rücken nicht ein, ziehen die Schultern sich nicht hoch, bleibt sich der obere Rumpf aus den Hüften heben, der Kopf frei beweglich, trampeln die Füsse die Erde nicht platt, ist es ein Tanz mit der Erde, der Zeit. Nach den ersten vier Stunden ziehe ich die Sandalen an. Gebe die schweren Schuhe Henri. Ich habe Flügel! Meine Füsse lernen die Steinchen wieder rauszuschleudern, ohne dass ich anhalten, die Sandalen ausziehen muss.

Die Becken der Schwarzen sind weit nach hinten gestreckt, das höhlt die Kreuze aus, sehr. Bei solcher Haltung muss sich die Bewegung irgendwann, trotz des Fluidums, das sie umgibt, stauen, erstarren wie in Deutschland. In Deutschland fehlt dieses Fluidum, wirken die Bewegungen hölzern.
Afrikaner, die sitzen, sitzen, die stehen, stehen, ein Stück der Umgebung.
Fanatisch trägt Charles das Kreuz.

Am dritten Tag weiss jeder so ungefähr, wer wo herkommt. Es gibt Löcher, wo die Worte von vorn und hinten, irgendwie gebrochen, nicht eindringen, Stille herrscht.

Es regnet. Wenn es aufhört zu regnen, ist es trocken. Am Eingang eines Ortes stehen Massaifrauen, Kinder noch. "Schaut sie euch nur an", sagt Hans, "fotografiert sie nicht."

Die metallenen Stimmen, unterschiedlichen Rhythmen der zwei Paar Skistöcke. Überall bieten sie Holzkohle feil. Stehen da.

"Treiberameisen!", schreit Hans. Schon habe ich sie im Hosenbein, beissen sie sich ins Fleisch. Ich schlage und reibe sie durch den Stoff hin tot.

Der Magen schaltet auf die hiesige Diät, den anderen Essensrhythmus um.

Sie kommen uns auf der grossen Strasse schon entgegen, nehmen uns die Rucksäcke ab. Singen. Noch 500, noch 300 m. Wir tanzen nahezu.

Wangen werden hochgepresst, die Skistöcke extra hart aufgesetzt.
"Kraft!
Kraft!
Kraft!"

Dieser verfallene Komplex war zu Zeiten der Mau-Mau ein Militärlager der Briten, jetzt beherbergt er eine technische Schule. Jungen und Mädchen lungern herum. Ein paar schlafen hier. Die anderen Räume und die überdachte Terrasse sind für uns. Hier können wir waschen, es gibt genug Wasser. Mit Jan, Charles und Lwanga schlafe ich in einem schmalen Raum. Die rostigen Bettgestelle schieben wir zur Seite. Bereiten unsere Lager auf dem Boden. Es fängt an zu regnen. Manche überdachte Schlafstelle muss geräumt werden. Es ist wichtig eine gute Schlafstelle zu finden, neben jemandem, der Ruhe ausstrahlt. Jan strahlt Ruhe aus. Charles hat sich zu meinem Wachhund aufgeworfen. Er will sogar mein Geschirr abwaschen. Das lasse ich nicht zu. Gabriel erledigt Jans Wäsche. "Old man", nennt er ihn; Josephina die von Hans. Sie spannen Wäscheleinen von Baum zu Baum, hängen die Wäsche in den Regen. "Warum spannt ihr die Leinen nicht unter die Überdachungen der Gänge?" Sie lachen. Ihre Wäsche bleibt im Regen. Das Klo. Wieder ist das weite Grasfeld angenehmer, der Kanga meine Abschottung. Ich verscharre meine Notdurft wie ein Hund. Mit einer Schüssel Wasser begeben wir uns der Reihe nach in den Waschraum. Die Mitteilung, dass teure europäische Socken verschwunden, gestohlen worden sind, verändert die Stimmung schlagartig. Der Dieb kann eines der Kinder sein, die hier rumlaufen, einer der einwohnenden Schüler aber auch jemand aus der Gruppe. Misstrauen kommt auf, die Offenheit einander gegenüber ist angeknackst. Dies ist erst der dritte Tag. "Stehlen ist für Afrikaner keine Missetat, sie sagen: 'Ich habe Glück gehabt.'"

Es ist feucht, kalt; die Kälte zum Teil auch Erschöpfung. Der langen Finger wegen holen wir die Wäsche in die Schlafräume. Einer hält immer Wache. Essen. Für jeden noch ein Bier oder eine Soda. Hans gibt für jeden, der will, einen Schluck Rum aus.

Die Weissen reisst ihr Tanz nicht mit, schon gar nicht, wenn sie nahezu bewegungslos stehen. Immer verbleiben sie in einer sicheren Vorstellung oder überspielen sie. Der Kanga um ihre Hüften. Ich kann hier noch nicht tanzen.

Nach Maungu
22.07.
38 km.
Dunkle Streifen, flatterhafte Schatten, die sind und doch nicht. Der Himmel ist klar.

Gesenkten Kopfes, Schaum und Schleim aus dem Mund steht und dreht sich einer der Tiroler immer wieder, stöhnt; morgens früh und ab und zu unterwegs. Er ist Epileptiker, das sind seine Absenzen, ist kein Hitzekollaps, keine Anstellerei; morgens ist nach den Tabletten.

Silberbäume. Unter dem Silber liegt ihr Grün.

Wir schlafen in einer Schule. Die Erde rundum ist rot. Uns bleibt Zeit zum Rumsitzen, Nichtstun. Kizito bastelt aus dünnem Draht und Glasperlen einen Miniaturrosenkranz. Die Kinder jauchzen und schreien. Hans fragt Mädchen aus der Umgebung, ob sie zur Schule gehen möchten. Natürlich möchten sie das.

Fons wird gebracht. Auch er ist Missionar. Zurzeit ist er im Mutterhaus in London. Er läuft vier Wochen mit uns mit. Wenn er abwesend schaut, gleicht sein Ausdruck dem Francis Bacons Bildern.

Es bleibt auch nach Einbruch der Dunkelheit warm. Lange noch sitzen wir draussen.

Nach Voi
23.07.
30 km.
Abseits der Mordstrasse Mombassa/Nairobi, entlang der Ölleitung durch den Tsawopark. Wir fangen erst um 6 Uhr an, wegen der wilden Tiere. Werden von zwei Polizisten und zwei Rangern begleitet, wegen der wilden Tiere und Banditen. Es ist Sonntag. Das Auto darf nicht durch den Park. Henris Snackbar wird unseren Weg zweimal kreuzen. An Verschlägen vorbei: den Behausungen der Bewacher der Ölleitung. Seit gestern lassen wir den Einfluss des Meeres und das immer vorhandene Gemüse hinter uns. Seit Gesternabend darf niemand mehr sein Fleisch und Gemüse selbst aufschöpfen, damit auch die Letzten ihre Portion bekommen. Afrikanische Männer, nicht alle und nicht nur die afrikanischen, schaufeln sich Berge Essen auf, am liebsten Fleisch und Gemüse.

Büffel in der Ferne, Zebras, Tatzenspuren, grosse Tatzen, kleine Tatzen. Elefantendung, das ist gleich ein grosser Tisch voll. Am Wegrand liegt eine grosse tote Eidechse ohne Zeichen einer Verwundung. Ich fotografiere sie. Danach muss ich mein Tempo beschleunigen um wieder anzuschliessen. Es ist heiss, trocken, rostrot. Steppe verdrängt die Silberbäume. Das Gras ist fantastisch grün, hier und da kobaltblau, auf diesem rostigen Rot. Die Hose wird rostig, die Haut, der Rotz. Der Staub dieser trockenen Schönheit dringt in dich ein wie der Sterbensstaub des Geliebten an der Gemarkung der Zeit, was dich Teil von ihm macht, jedes Mal, und das letzte für immer.

Das letzte Stück laufen wir entlang dem Bahndamm. Die Kunde unseres Kommens eilt voraus. Aus Voi kommen sie, singen, kreischen, schmeissen die Arme in die Luft. Nehmen uns die Rucksäcke ab. Ich will sie nicht zum Träger machen, auch wenn es sie in gewisser Weise erhöhe, wie man mir deutlich macht.

Die Sträucher im Hof unserer heutigen Bleibe sind bunt behangen: gewaschene Wäsche. Waschen ist ein soziales Ereignis. Auch wir müssen waschen. Nach Voi ist es noch trockener. Sie läuten zum Gottesdienst. Hans und Fons streifen über Staub und Schweiss die Messgewänder. "Es wird schön heute", sagen sie, "die Kinder werden tanzen." Ich gehe nicht mit. Der Mensch sollte dem Menschen unbewachte Augenblicke lassen. Niemand ist heute auch nur fünf Minuten für sich gewesen. Ich muss mich noch waschen, waschen, will zeichnen. Mädchen kommen in Sonntagskleidchen.

Heute unterwegs spricht jemand von heiligen Kriegen. Es gibt keine heiligen Kriege, alle Kriege sind unheilig oder sie sind heilig und wir hegen falsche Vorstellungen von Heiligkeit.
"Das Tragen dieses Kreuzes hat nur Sinn", sage ich Fons, "wenn wir den Leib des Menschensohns unterwegs abnehmen und das Kreuz spätestens in Kampala verbrennen, auf dass nie mehr jemand an eines geschlagen werde. An jeder Kreuzung müssen wir uns gegen das Kreuz entscheiden, gegen das Opfern des Rhythmus und Gesangs des anderen, das ihn tötet, Mörder aus uns macht."

Klos und Waschkabinen befinden sich jenseits des Grasfeldes, sind noch neu und nicht so schlimm, aber die Klos noch ohne Wasseranschluss. In der Nähe der Unterkünfte stinkt das Feld nach Notdurft. Ich will mich im Schlafraum wachen. Da liegt einer der Chauffeure. Ich nehme meine Waschschüssel, suche einen leeren Raum, dessen Tür schliesst. Setze mich dann auf mein Lager, trinke ein Bier. Rechts von mir hat Jan sein Lager, links Charles.

"Geh", stirb", sagt der Tod.
"Wie und wohin", frage ich ihn.

Die rote Erde frisst alles kaputt.

Sie kommen mit einem Kreuz ohne Korpus von der Messe. Ich zeichne ihm einen schwarzen auf, dessen Füsse auf dem Kopf eines Lebenden ruhen. Menschen aus Menschen prangen, am Kreuz hängend, in roter Erde. Ich hatte Angst davor Christus ans Kreuz zu zeichnen, ich wusste ja, es könnte geschehen. Mit dem ersten Strich muss ich es schaffen und er lässt sich nicht mehr entfernen. Die Schwarzen sagen: "Das sind wir!"
"Wie sie tanzen und singen können. So wunderschön!"

"Kampala! Und dann nach Holland", sagt Jan. Dies ist erst der fünfte Tag.

Henris Geldbeutel ist weg, samt Führerschein. Vielleicht eines der Kinder, ein Polizist. Er hatte das Auto offen gelassen.

Das Küchenpersonal hat frei. Im Restaurant, ein paar Strassen weiter, müssen wir in Etappen essen. Es gibt zwar genug Essen, aber kaum Teller und Messer und Gabeln.
"Hier herrscht ein ständiges Krisenregime", sagt Hans, "sie können nicht antizipieren. Und dann entscheiden sie sich für das ad hoc geringste Übel." Ein paar bleiben, wollen weiter trinken, sich amüsieren. Afrikaner finden in Afrika immer Freunde, Leute vom gleichen Stamm, der gleichen Sprache. "Die Chauffeure gehen jeden Abend aus", sagt jemand. Ich gehe nicht mehr übers Grasfeld.

Morgen 36 km. Um 5 Uhr los. Unter Polizeischutz, aber nicht wieder durch den Park; das ist von hier an nicht mehr zu verantworten. Und wir laufen links, den Verkehr im Rücken, wie eskortierte Gruppen das zu tun haben.

Unruhige Nacht. Die Spätkommer. Du weisst ja nie, ob das tatsächlich eigene Leute sind. Eine Petroleumlampe ist an. Taschenlampen blinken auf. Der Gestank des Feldes der Notdurft, Discomusik, Sterne. Vögel schreien: "Hiap! Hiap!" Noch nie habe ich Vögel so kreischen hören und nicht nachts.

Nach Manyani
24.07.
36 km.
3 Uhr 30. Am Holzkohlenfeuer sitzen die Polizisten. Ich fühle mich wie ein gejagtes gerissenes Tier. Meine Kette mit dem Stein und dem Bergkristall fällt mir vom Hals. Ich stecke sie ein. Sie gehen schlampig mit dem grossen Gepäck um, ich packe alle Tuben, die dieser Behandlung nicht gewachsen sind, in den Tagesrucksack. Schaffe das grosse Gepäck gerade so, eine Stulle, noch einmal aufs Feld, das Wasser. Ich kann mir die Zähne nicht mehr putzen.
"Suchet erst das Reich Gottes..."

Meine Füsse laufen von selbst. Ich finde Stille im Geplapper. Du hast auf solchem Marsch keine Möglichkeit über nicht Geschafftes nachzudenken, ihm gar nachzutrauern.
"Wie fühlst du dich", fragt Hans. "Glücklich." Mit dem ersten Schritt - wie mit dem ersten Strich auf dem Papier, der ersten Handlung auf der Bühne - sind alle Hindernisse bis dahin und die, die mir danach auflauern, wie weggeblasen.
"Die Strecke ist weit, trocken. Stellt im Gefängnis keine Fragen, erzählt vom Marsch." Heute schlafen wir im Gefängnis von Manyani.

Bei der 9 Uhr-Rast ziehe ich die Sandalen an. Henri ist nicht gut drauf. Jeder will seinen Rucksack in sein Auto stellen. Ich stecke die Stiefel, 1400 Gramm extra sperriges Gewicht, in den Rucksack, ziehe die Riemen straffer an. Er muss mit diesem extra Gewicht eins sein mit meinem Leib. Es ist schon heiss, der Fahrdamm ausgefressen. Laster, Busse, Wagen. Bei der 10 Uhr-Rast fragt Hans mich wieder: "Wie fühlst du dich?" "Vollkommen glücklich." Ich bin irrsinnig leicht.

Der Knall. Auf mir. Jenseits jeder gekannten Erfahrung. Ich habe Angst vor dem Krachenhören meiner Knochen, meines Schädels. Aus. Meine Briefe an dich, alle Notizen.

Auf den Knien finde ich mich wieder. Ein Embryo. Atme. Mein Atem tastet meinen Leib ab. Ich habe Arme, Beine, Füsse. Stimmen. Knie in Richtung Mombasa. Sie schnallen mir den Rucksack ab, Josephina die Hüfttasche. Drehen mich um. Es tut weh, rechts. Hans hält meinen Kopf. Wasser. Ich will Wasser. Hanneke streckt mir die Beine, bewegt das rechte. Der Buschauffeur. "Pole, pole!" "He is a killer", zischt Hans. Er ist Araber. All die Menschen um mich herum. Es tut weh, rechts bei der Hüfte und dem Brustkasten, wenn ich tief atme, lache, huste. Nichts, ich habe nichts. Jubel herrscht in mir. Henri ist da. Zur Ersten Hilfe im Gefängnis. Ich kann aufkommen. Hanneke kommt mit. Ich will das. Mein Rucksack. "Hans war auch beim Tod unserer zweiten Tochter in meiner Nähe."

Henri fährt direkt zur Ersten Hilfe. Atmen tut weh. Henri darf nicht im Zimmer bleiben. Ich grinse, dieser Mann, der in seinem täglichen Leben immer von blossen Brüsten umgeben ist - mein Blutdruck ist normal: keine inneren Blutungen. Die zwei Ärzte, einer ist Inder, legen mich auf die Pritsche - das mich Hinlegen, mich Umdrehen tut weh - untersuchen meine Wirbelsäule, meine Rippen, den rechten Beckenknochen. Nichts, nein. Zur Kontrolle müssen zwei Röntgenfotos von der unteren Wirbelsäule gemacht werden. In Voi. Die Überweisung. "Um sicher zu gehen, dass keine Knochen abgesplittert sind. Gott ist gross", sagt der Inder, "das kommt vom Beten." "Ich bete seit zwanzig Jahre nicht mehr." Sein Gesicht verfinstert sich. "Meine Mutter betet für mich. Jeden Tag, den ich unterwegs bin, zündet sie eine Kerze für mich an." Er strahlt: "Heute Abend bei der Messe" "werde ich nicht da sein." "singe ich für Sie. Ich bin im Chor." "Ich möchte mir das Gesicht waschen, die Hände." Das Waschbecken, das dreckige Handtuch daneben. "Bitte, geben sie mir ein sauberes Handtuch." "Wir haben kein anderes Handtuch." "Bitte, geben sie mir Seife." "Wir haben keine Seife." Der Inder kommt mit einer Untertasse Omo. Ich wasche mir Gesicht und Hände. Ziehe die Bluse wieder aus, trockne mich damit ab, ziehe sie wieder an.

Sogar aufs Klo gehen die Gefangenen aneinandergekettet. Ich will bis zur Offiziersmesse, unserem heutigen Lager, laufen; laufe. Die Gefangenen sind weiss gekleidet. Harken die Pfade. Chris, der einen der Wagen fährt, kommt uns entgegen. Umarmt mich. Wir fassen das, alle, lange noch nicht. Henri fährt zurück zur Gruppe.

Wir haben den Saal und einen Nebenraum der Messe für uns, müssen Matte an Matte liegen. Im Vorraum hat sich die Küche eingerichtet.
Wo mein Rucksack steht, laufen Ameisen. Ein anderer Platz. Über die Wände eines Holzverschlages hängen sie einen Schlauch. Ich habe eine Dusche. Ziehe saubere Sachen an. Lege mich hin. Umdrehen, Atmen tut weh. Ich will noch keine Tablette nehmen, will wissen, wo genau es weh tut. Eine Soda. Hanneke wird mich massieren. Vier Polizisten. Meinen Pass, ein Protokoll. Ich gebe ihnen den Pass nicht. "Wenn ich für die Röntgenfotos nach Voi komme, erledige ich die Formalitäten. Vielleicht heute noch, vielleicht morgen früh. Erst muss die Gruppe da sein." Sie bleiben lungern. "Bitte, gehen Sie jetzt." Sie gehen.

Um 15 Uhr 30 trudeln die anderen ein. Hans schlägt sein Lager neben meinem auf. Heute noch nach Voi. Nicht da im Krankenhaus bleiben. Sollte eine Aufnahme nötig sein, nach Nairobi. Henri fährt mich. Hanneke kommt mit. Ich nehme Ibuprofen, zwei gleich, der Schlaglöcher wegen. Beim Gefängnistor bitten sie uns einen Polizisten mitzunehmen. Ich halte mich gut fest, muss die Schlaglöcher rechtzeitig sehen, mich abfangen. Die Unfallstelle verrät nichts mehr.

Wir setzen den Polizisten ab. Das Krankenhaus. Henri muss erst die zwei Fotos an der zentralen Kasse bezahlen, 300 Kenia Schillinge. Der Röntgenapparat kommt aus Holland. Philips. Der Röntgenassistent ist Inder. Ein Foto von der Seite, eins vom Rücken her; der Bereich der unteren Wirbelsäule. Offiziell darf niemand hier Röntgenfotos lesen. "Wo?" "In Nairobi." "Bitte!" Bei den untersten Wirbeln ist ein Ansatz von Arthrose zu erkennen, sonst nichts. "Altersverschleiss", sagt der Inder.

Zur Polizeidienststelle.
Es tat dem Chauffeur leid, so leid, bis zum Revier.
"Fahrlässiges Fahren!"
"Nein!"
Natürlich fährt er zu schnell, rücksichtslos, alle Buschauffeure fahren rücksichtslos, und wahrscheinlich funktionieren die Bremsen nicht mehr gut. Natürlich ist das Ausweichen auf den Schotterstreifen die beste Lösung. Soll er den Polizisten überfahren, frontal auf den ihm entgegen kommenden Laster beim Überholen knallen? Der Bus ist voll besetzt. Und er kommt zu spät zur nächsten Haltestelle, ist schon zu spät bei der letzten gewesen.
Ich lebe. Bin heil. Es hätten zwanzig sein können, aber das ist Utopie. Fahrlässiges Fahren ist strafbar.
Eine Fotokopie meines Passes. Sie haben keinen Kopierapparat. Ein Offizier muss das irgendwo in einem Geschäft erledigen gehen.
Um 10 Uhr, steht im Protokoll. "Nein, nach 10 Uhr 30."
Ich dachte, steht da. "Nein, ich habe in jenem Augenblick nicht gedacht..."
Die Publikumstoilette spottet jeder Beschreibung.

Auf der Treppe steht ein mageres Mädchen. "AIDS", sagt Henri. Morgen zum Richter. Zwischen 9 und 9 Uhr 30 holen sie mich mit dem Polizeikrankenwagen ab. Henri muss die Gruppe begleiten. Die Polizeipräfektur will sich die Chance des Berechtens des Chauffeurs nicht entgehen lassen. Zig Menschen sterben wöchentlich auf Kenias Strassen. Die Schuldigen fahren weiter.

Sie gehen zur Messe, bleiben lange weg, sprechen vom Blick über die rote Landschaft.


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