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POLEN II. 2Katowice. Allein schon das Nennen dieses Namens ruft Wegwollen in mir hervor. Hier wohne ich in einem Kloster etwas ausserhalb des Zentrums. Gegen Mittag komme ich an. Im Sommer 1987 begleite ich andere Zaltbommeler, die Ferienkinder zurück ins Waisenhaus des Klosters bringen. Immer sind wir willkommen. Als mein Taxi gegenüber dem Eingang auf der Einfahrt zur Kirche hält, kommt Schwester Oberin aus der Tür: "Nu, bitte! Solange Sie wollen."Sie führt mich durch die kühlen hohen unten hellbraun verschalten und oben weiss gestrichenen Korridore, die jetzt offen stehenden Gittertüren, über den russigen Hof, noch eine Treppe, durch noch einen Korridor. Ab und zu huscht eine andere Nonne vorbei. Es riecht nach Lysol. Ich bekomme das Tageszimmer der Krankenabteilung, verfüge über ein eigenes Bad mit sechs niedrigen Waschbecken und einem Klo. Die Krankenschwester räumt fürs nächste Jahr das Behandlungszimmer auf, tüncht, was zu tünchen ist. Der Schlafsaal ist unbelegt. Auf jedem der zwanzig Betten sitzt eine Puppe. Woityla hängt an der Wand und glücklich strahlende Kinderchen auf Fotos und Postkarten. "Wir bringen Ihnen das Essen aufs Zimmer. Wenn Sie abends später als 10 Uhr kommen..." "Ich bin immer vor 10 Uhr wieder da." "Die Kinder sind bei Familien, manche in Sommerlagern, nur wenige sind jetzt hier. Nein, nicht in Zaltbommel, die Zeiten haben sich geändert. Das Bett machen wir noch. Um 8 Uhr Frühstück?" Nach einer Viertelstunde bringt sie das Mittagessen. Die Dollarnote, die ich ihr gebe, küsst sie und drückt sie lachend an ihre gewaltige Brust. Ihr Deutsch kommt träge im Sang der polnischen Sprache. Sie ist aus Poznan. "Sie können einen ganzen Monat bleiben, bitteschön. Der Kirchgang geht wieder zurück und ins Kloster wollen die Mädchen nicht mehr. Sich aufopfern für den anderen. Wer will, wer tut das schon noch. Sie wollen haben, wollen nicht dafür arbeiten. Das Kloster ist wieder Eigentum des Ordens. Für die Kinder bekommen wir Geld vom Staat." Wie kann eine Stadt nur so dreckig sein. Anthraziter Belag glänzt auf zerfressenen Fassaden. Der deutsche Einfluss lässt sich nicht leugnen. Ich wähne mich im Pfaffengrund, diesem Stadtteil von Heidelberg, wo ich sieben Jahre gewohnt habe, bis ich 1961, verheiratet, nach Holland komme. Meine Mutter wohnt noch immer im Pfaffengrund. Im Dreck prangen die Barbies. Nach den monströsen Siegermalen geilt die Welt nach dem glänzenden Püppchen, lauter kleinen glänzenden Püppchen. Aufziehbaren Püppchen. Kreischenden Püppchen. Ich gehe zu Fuss in die Stadt. Es ist heiss. Und zurück. Kaufe unterwegs eine Flasche Wein. Heute Abend, wenn sie wieder abgedeckt haben, betäube ich mir das mahlende Gehirn, lasse die Hand zeichnen. Liege auf dem Rücken, das Glas in der Hand, unter ihrem Papst, den strahlenden Kinderchen, dem Kreuz.
Zaleze, das ist nicht nur das Verramschen Polens und Russlands. Entlang dem Bahndamm verkümmert die Welt zum Bazar des Abschaums des Ramsches in schwarzem Staub neben stinkenden Pfützen. Papiernasen schützen Fleischnasen vor der Sonne. Jeder kennt diese Strecken entlang den Bahndämmen, wo die Müllhalden zuhause sind, die Schlehe, die Klette, der Weissdorn, der Holunder mit seinem pissigen Aroma. Kartenspiel, Roulette - in diesem Gestank. Kein Kulturpalast mit vierzehn Etagen mit Klos. Warschau, geliebtes Warschau, dein Charme! Der Geruch, Geschmack von Auswurf. In Amsterdam liegt dieser Ramsch in Geschäften, auf dem Rummel, ist geruchlos. Dieser fette anthrazite Glitsch beisst sich in Fleisch und Hirn. Sich das noch einmal leibhaftig bewusst machen, vor Augen geführt kriegen, seinen Extrakt schmecken, darüber nachdenken? Es strömt durch ihre Adern, zerfrisst ihre Substanz, pigmentiert ihre Haut. Die Haut bricht. Gib ihnen ihren täglichen Rausch. Himmel um auf den Knien rutschend in Verzückung zu geraten, anzubeten, zu vergessen, sich zu vergessen, die offene Haut zu vergessen, nur weit genug von dieser Hölle entfernt. Sie davon abhalten, weil nichts stärker bindet als Armut unter versprochen, nie erreichbaren Himmeln und verabreichten Fusstritten? Wer hier die Chance hat raus zukommen, wie auch immer, und es nicht tut - es gibt kein Entkommen, als das Gehen. Nach zwei Stunden ist der Rotz in meiner Nase durchzogen von schwarzen Schlieren. Wer seine Kinder hier nicht zur Sauberkeit anhält, wenn's sein muss unter Drohung von Schlägen, mit Schlägen, gibt sie verloren. Ich bin weder für Drohungen noch für Schläge, auch wenn ich es verstehe. Verstehe auch, dass Menschen Drohungen dann doch nicht ausführen, die vorliegenden Verhältnisse so untermauern. Das Tagebuch hinter dem Tagebuch, das ich nicht in schwarze Worte fassen will, von der Überwucherung durch mein mich Gehenlassen, mein dem Heisshunger Nachgeben, meinem Nachschieben und Runterschlucken, mich Erbrechen. Der Mann, der auf der Treppe im Chorzower Bahnhof liegt, ist besoffen. Für manchmal "Tak, Tak" und ab und zu "Dobrze" erzählt der Mann im Zug immer weiter, spricht mit Händen und Augen und Worten auf mich ein. "Tak". Klopft mir auf die Schulter. Schreit aus. Auch er ist besoffen. Manchmal zieht er seine Augenbrauen hoch, dann krächzt er, beisst sich auf die Unterlippe. Ich will noch nicht zurück in die gleich wieder gebrachte Mahlzeit, den gleich wieder gebrachten Kaffee, die Erdbeeren, den Kuchen - was soll ich mit soviel Kuchen -, die Suppe, den Kohl. Ich besuche eine Ausstellung. In den Bildern ist ein Gesamtrhythmus anwesend, im Einzelnen jedoch keine Bewegung aufzuspüren.
"In Gliwice fängt das grüne Schlesien an", sagt Schwester Oberin.
Morgens setzen die Roma ihre Kinder in Pappkartons in die Bahnhofshalle: "Bettelt!" Ja, in Gliwice bist du raus aus dem Gebiet der Hochöfen, dem Stinkloch der Welt. Es könnte jede deutsche Provinzstadt sein, noch mit den Schatten des Nichthabens, des "Nie ma" behaftet. Gliwice ist Polen. Die typischen Regime-Läden, grau, funktionell, jetzt mit Ware. Frauen in Kitteln schleppen lustlos Kisten. Hinter der Kirche, bei den Abfallcontainern, lungern Besoffene.
Auf dem Markt kreuzt ein Spalier geschniegelter Offiziere und schön gemachter Damen Klinge und Blumen über einem Brautpaar und den die Schleppe tragenden Kindern. Man singt. Das Trommelfeuerspiel! Du musst durch das Spalier der Kameraden mit ihren über dir zusammengehaltenen Händen durch und während du durchrennst, geduckt, prasseln ihre Fäuste auf dich, kreischen ihre Gesichter dich an. Mir ist übel. Es fängt an zu nieseln. Auf brachliegendem Grund zwischen schon renovierten weissen Häusern und noch nicht renovierten Löchern steht der reguläre Wochenendmarkt. Heimische Ecken und Dreck wechseln abrupt. Victor ruft an. "Wann ist Morgen früh Messe?" "Wenn Sie lieber nicht wollen." "Ich komme." "Ich hole sie ab."
Schwester Oberin kommt mir entgegen. Ich folge ihr durch die Korridore des Waisenhauses - Mädchen in Sonntagskleidern kommen aus Türen -, durch die Korridore des Schwesterntrakts. In dieser Dreckstadt, diesem, in aller Knappheit, peinlich sauber gehaltenem Komplex betreten wir auf der obersten Etage einen Raum mit spiegelndem Parkett, hellen Wänden, grossen klaren Fenstern. Hinten kniet eine Reihe von Nonnen, vorn steht der Priester. Der Messdiener ist eine Nonne. Auch in der ersten Reihe knien Nonnen, dahinter die Kinder, die jetzt nicht bei Familien sind. Nur ein Junge unter lauter Mädchen. Der Priester breitet die Arme aus, umschreitet den Altar. Sein Gesicht ist rot, gesetzt. Die Nonne huscht. Die Nonne liest die Epistel, der Priester das Evangelium. Dann predigt er. Schlägt ein Kreuz über der grossen Hostie und den kleinen Hostien, dem Wein und dem Wasser, dem Wein mit dem Wasser. Bricht die grosse Hostie. Steckt ein Stück in den Mund. Trinkt den Wein mit dem Wasser. Reicht jedem, der kommt, eine Hostie. Sie klebt am Gaumen wie einst. Er reinigt den Kelch, trocknet ihn ab. Richtet Arme und Augen gen Himmel, schlägt ein Kreuz über uns Kniende. Nach dem Frühstück umstehen die Nonnen ihn kichernd im Hof. Er muss noch zu einem anderen Kloster. Röcke mit langen Seitenschlitzen, Plisseeröcke, Stöckelschuhe, Handtaschen. Ich bin in der Stadt. Die Röcke spannen. Sonntags auf dem Bahnhof kommen die Alkoholisierten auf dich zu wie Fliegen auf Fleisch. Heute wollte ich, ich wäre ein Mann. Auf dem heileren Stück Treppe verkauft ein Krüppel Heiligenbildchen. Roma liegen auf der Grünfläche rechts, neben ihrer Habe. Einer schläft seinen Rausch auf dem Damm einer Bushaltestelle aus. Träge doch fahrig ballen sich graue Gesichter, schwarze Schlieren im Rotz, fleischige Brüste, Rockschlitze, schief gehaltene Köpfe, Frühstück, Mittag, Kohl, Kaffee, Kuchen, Milch, Früchte, Saft, Abendbrot: "Müssen essen!" zu einem einzigen zähklebrigen unenthedderbaren Knäuel. Oh, glänzende Reinheit der Kapelle, ausgebreitete Arme des Priesters, kropfige Verankerung seines roten Gesichts, erhobene Hostie. Pissiger Gestank des Holunders, Papiernasen, braune Kuhlen, abblätternde Farbe, Lysol. Besoffene auf Treppen, Barbies neben wuchtigen Denkmälern, verrostete Rohre unter, über, neben den Strassen, 'Casino', Kinder in Pappkartons mit ausgestreckten Händen, mit Kreuze schlagenden Händen. Dreck. Eine weisse Fassade. Schimpfende Roma. Jammernde Roma. Körper aus Fenstern, Federbetten aus Fenstern, Paradekissen. Das Kreuz. Missmut steht morgens schon in den Leibern an der Bushaltestelle, im Bus, im Bahnhof. Die elende Woche hat wieder angefangen. Romnija mit Kindern machen sich an alle ran, die vor den Schaltern stehen. Die Fahne der Armut hängt grau und schwer, lässt sich nicht schwingen. Das Aroma der Armut ist Schweiss ohne genügend Seife. Auf dem Bahnsteig schläft einer in seinem Urin, wartet einer mit Trauerflor. Zaleze im Regen. Sie schleppen Taschen über die Schienen in den schwarzen Schlick. Ich steige nicht aus. Ich fahre nach Opole. In Gliwice kommen die Romnija, Kinder an Händen und Brüsten, in den Zug. Frauen im Frühomastadium geben immer.
Opole wird restauriert. Ich höre viel deutsch sprechen. Sie laufen durch ihre alten Strassen, gehen auf den Friedhof. Sie kommen, brauchen ja kein Visum mehr. Sie ist Senatorin für Schlesien. Ich traf sie im Goethe Institut in Krakau. Sie kam wegen Studienbüchern für den Deutschunterricht. Ihr Spezialgebiet sind die Minderheiten. Sie ist Professor für Ethnologie, ist eine jener bemerkenswerten Schwarzharigen, die hier im Süden zuhause sind, eine seltsame Mischung aus Schönheit, Intelligenz, Durchsetzungsvermögen und Eleganz. Ihr Mann ist Ingenieur, Schlesier. Der Sohn wohnt nicht mehr zuhause. Um 15 Uhr 30 hole ich die Senatorin in ihrem Büro ab. Unterwegs kauft sie Fischsticks. "Wir können jetzt, von der Arbeit kommend, einfach unterwegs kaufen, was wir brauchen oder wollen. Kaufen, wann es etwas gibt und was es gerade gibt, ist vorbei. Wir essen, was und wann wir wollen, legen keine endlosen Vorräte mehr an." Sie freut sich über jedes neue Firmenschild, über jede Fassade, vor der Baugerüste stehen. Sie hat das Essen schon vorbereitet. Suppe, für Polen ist ein Essen ohne Suppe kein Essen. Fischsticks, Kartoffeln, Salat. Während wir schon essen, kommt ihr Mann. Sie sprechen - ich spreche kein Polnisch - deutsch miteinander. Sie müssen gewohnt sein deutsch miteinander zu sprechen, sie suchen nicht nach Wörtern. Mit dem Sohn, der kurz vorbeikommt, sprechen sie polnisch. Ihr Mann ist sechzehn, als er sich damals für Polen entschliesst. Als sie vor ein paar Jahren für ein paar Monate an die Göttinger Universität eingeladen wird, fühlen sie sich da fremd.
Für ein paar Stunden steche ich zurück nach Krakau. Gehe kurz zum Goethe Institut, in die verwickelte Unantastbarkeit der Boten deutscher Kultur mit ihrer Abstand gebietenden gereichten Hand im Türrahmen und lächelnd angebotenem: "Wir tun, was wir können." Ich muss noch jemanden aufsuchen. Der ist nicht da. Die Bäckerei, wo ich vor zehn Tagen ein Stück Kuchen gekauft habe, ist weg. Der Laden wird renoviert. Ich trinke irgendwo Kaffee, und noch eine Tasse, sitze nur da. Sitze noch eine Stunde lang auf dem Bahnhof.
Opole. Ich wohne gleich gegenüber dem Bahnhof. Es nieselt. Ich habe kein Ziel. Es ist nichts als ein durch die Strassen Laufen, ein mich über den Fluss Wagen. Flüsse haben etwas Magisches für mich, als greife sie zu überqueren in meine Wahrnehmung ein, verlagere sich das, woher ich komme. Nie kann ich davon ausgehen in Vertrautes wiederzukehren. "Nysa", sagte der Mann der Senatorin, "ein paar Reste zeugen noch immer von seiner Schönheit. Den Brand stiften sie nach dem Krieg." Ich lasse mir in Zgorzelec ein Zimmer reservieren. Drei Nächte will ich diesseits, direkt an der Grenze verbringen. Breslau (Wroclaw ) lasse ich aus. Noch eine Stadt nur, Plätze, Strassen voller Gesichter. Ich werde schwer von Gesichtern, von trägen Leibern, fahriger Hast. Was tun sie mit all den Stunden, in denen sie früher anstanden? In einem Warenhaus kaufe ich Plastikbeutel aus Holland. "Keine entspannten Gesichter", fragte der Mann der Senatorin noch. "Manchmal ein Anflug - weg." Entspannung? Es ist mehr aus immenser Übermüdung keinen Widerstand mehr leisten zu können, als sich tatsächlich zu entspannen. Ein sich Gehenlassen im Rausch von Schnaps, der Freiheit - dem 'Nichtsmehristunerlaubt!', wie sie denken. Hier tanzen Besoffene wie Engel. "Was gedenken Sie hier zu finden?" "Eine Spur meiner Eltern, den Geschmack ihrer Stadt." "Das Grab ihrer Mutter", sagt das Zimmermädchen, "manche finden, manche nicht."
Auf dem Bahnsteig sitzt ein alter Deutscher. Er fährt wieder weg. Erschrecke dann vor der unerbittlichen Härte der Linien auf dem Papier. Ich radiere sie aus. Sogar der Hauch, der stehen bleibt, spricht von unerbittlicher Unantastbarkeit. Der kantige weisse Schädel, die erschlafften, ehedem so verspannten Sehnen des mageren Halses, der mageren Hände. Unantastbarkeit. Er ist freundlich, spricht angeregt mit seinen polnischen Verwandten. Wo fängt solche Unantastbarkeit an, die den anderen mit freundlich gereichter, manchmal doppelter Hand auf Abstand hält, auf seinen Platz verweist, mit exakt geöffnetem Mund, exakter Artikulation, die bitteren Schweiss in mir ausbrechen lässt. "Kein einziger Deutscher lebt in diesem Leben, aber sein Körper ist pflichtbewusst und genau. (...) Der Kampf ist vom Marktplatz des Alltags voll und ganz auf die Höhen des Geistes verlegt. (...) Sie haben keine Barrikaden, aber sie haben philosophische Systeme, die die Welt sprengen, und Gedichte, sie zu erschaffen. (...) Deutschland, das ist: Schraubstöcke für den Körper und elysische Gefilde - für die Seele." (Marina Zwetajewa, Tagebuchnotizen 1919)An Breslau vorbei. Der Mann mir gegenüber packt Stullen aus. "Bitte", sagt er, "greifen Sie zu. Essen Sie."
Zgorzelec. Ich habe mein eigenes Bad und Klo. "Der Fluss, die Rote Armee zerschneiden damals ganze Familien", sagt der Alte, "wer weiter vorn im Treck ist, ist in Deutschland. 'Nicht mehr über den Fluss! Du: Pole!', sagen sie auf einmal. In der Schule liegen wir. Da. Aus Königsberg. Ein Sohn ist später rüber gemacht. Dieser hier? Ach, er will ein Mädchen." Die Hand schlägt's runter. Der Sohn will eine Karte aus Amsterdam. Natürlich ist die Stadt verkommen. Die Kneipen füllen sich. Überall Romnija mit Kindern.
Wo gestern die Disco tobte, ist jetzt fürs Frühstück gedeckt. Eine Alte mit Kittel putzt an Türen und Täfelung rum. Abgerackert, müde, mit verschrobenem Rücken, hängendem Bauch, gichtigen Händen zockelt sie auf der Aussenseite der Schuhe durch den Raum. Ihr Haar ist spillerig, strähnig. Ab und zu fegt sie mit dem Handrücken über die Stirn, schiebt die Strähnen zurück.
Viele Deutsche wohnen in diesem Hotel. "Es ist dreimal so billig", höre ich sie sagen. Kauende Kiefer. Die Vase zwischen sich, Körbe, das Paradekissen, Zigaretten, Gemüse, Kinder mit Puppen und Spielzeug. Zur Grenze. Heim. "Nun sei doch endlich!" Vaterhände rütteln straff. Kinder quengeln. Vom Kehlkopf an nach oben, da quengelt man. Auch das eine Kind in Masuren quengelte. Ich will in der Stadt essen. Tue es nicht. Die Essgelegenheiten entlang der Kaufroute sind auf Massenbetrieb abgestimmt. Die Gesichter der Marktfrauen und kleinen Geschäftsfrauen hier sind nicht wesentlich anders als die der Marktfrauen und kleinen Geschäftsfrauen in Deutschland oder den Niederlanden. Wo immer sie zuhause sind, sie können es sich nicht leisten besoffen zu sein. Sie ist müde. Ihr Deutsch fehlerfrei. "Bitte, wo treffen wir uns", fragt sie. "In Dresden." "Die Maschinen können wir liefern. Was kostet die Reise mit dem Zug." Ihre Hände waschen sich trocken, nervös: "Es ist Qualität! Sicher!" Seine Eltern sind damals da, ihre hier.
Aus der Kirche direkt am Busbahnhof hallt eine Messe. Ich warte auf den Bus nach Bogatynia. Das liegt in einer Schluppe Polens zwischen Tschechien und Deutschland. Ich gehe noch runter zur Grenze. Ich will morgen zu Fuss nach drüben, will sicher sein, dass ich das schaffen kann, mit dem Rucksack, dem Karren mit den Zeichnungen. Zwanzig, vielleicht dreissig Minuten? Ich weiss nicht, wie weit es auf der anderen Seite ist. Gibt es da bezahlbare Hotels? Ich wage niemanden zu fragen. Ich laufe am Fluss entlang und wieder zur Grenze. Die Autoschlange nach drüben ist lang. Wieder frage ich niemanden. Im Hotel fragt mich ein junger Deutscher, wo er Geld wechseln könne. Das ist morgen erst möglich. Ich lade ihn zum Essen ein. Danach laufen wir noch lange durch die Stadt und am Fluss entlang, weiter als ich mich zu dieser Stunde hier allein gewagt hätte.
Der Pole vor der Brücke schaut in meinen Pass, schaut mich an: "Sabine, Angela?" "Dobrze." Er gibt mir den Pass zurück. "Do widzenia." "Do widzenia." Wir lachen. |
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