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Luna/3

X. Verhörfetzen

als 'Parade' unter Tagesneon.
M hält eine rosa Plastikpenislampe in der Hand. im weiteren Verlauf des Verhörs takelt er S mit der freien Hand auf.
Rummelplatzgeräusch.

M
an! aus! an!
wozu bist du gekommen?

S
wozu hast du mich gerufen?

M
du hasst mich.
schau dir diesen kleinen Apparat
aus! an! aus!
schau her!
an! aus! an!
ich weiss, dass du das brauchst.
aus!
du weisst, dass ich das weiss!
an!
dieser kleine Apparat wird dir den Garaus bereiten.
schreien wirst du.

schrei-en!

was hast du gesehen?
du hast mich gesehen!

S
du lächelst!
diese Hände!
du entblösst die Zähne.

das Licht ist grell.

M
das Lippenbouquet aus deiner Fratze schneiden.

S
du schändest den Leib.

M
es ist das Beste für dich.

S
ich habe nur diesen Leib.
deine Augen!

M
preisen Sie die Show an,
los! los! los!

S
meine sehr verehrten Damen und Herren!
soll ich ihnen verraten...

M
ja! ja! ja!

XI. Fortsetzung an der Schlachthofmauer

an der Menschenhautmauer, unter grellem Scheinwerferlicht.
im Hintergrund schwellen die Rummelplatzgeräusche an und ab.
vielleicht quietscht ein Schwein.

M
die Huren schaffen wir vor die Stadt.
jetzt stehen sie draussen, auf dem Messplatz, entlang der Mauer des Schlachthofs.
das ist das Spiel,
das ist die Regel.
du hast Chancen.
bestimmt.

S
ich liebe dich.

M
du hast kein Recht.
du hast kein Haus.
du

S
Häuser beengen. alle
Häuser beengen.
Häuser weisen ab.
Häuser vertreiben.
aus Häusern wird man vertrieben. wir vertreiben aus
Häusern.
Häuser schliessen sich, werden geschlossen, umschliessen uns endgültig.
wir schliessen sie ab.
wir geben ihnen Endgültigkeit.
unantastbare Endgültigkeit. unsere Kammern liegen voller stöhnender
Leiber.
"schön", schreien sie, "so
schön!"
wir kommen nicht weiter,
gehen nicht weiter.

M
du hast nicht einmal ein Gerüst.
isst nur wenig.
isst keinen Kuchen.
musst Kuchen essen und Fleisch und Kartoffeln.
musst essen!
lang zu!
es ist gut für dich.
ich meine es nur gut mit dir.
so wirst du stark, brauchst ein Gerüst, einen Diener, der dich schiebt.
ich meine es nur gut mit dir.
es ist unhöflich nichts zu nehmen.
ich liebe es mich in grosse weiche Frauen zu stürzen.

S
Hass schliesst aus.
Hass schliesst ab.
Hass lässt uns Mauern errichten, in uns. unsere
Mauern sind hart. unsere
Mauern verlangen ihren Zoll. ihr Errichter verlangt seinen Zoll.
Zonen voller Bitterkeit stauen sich auf, stocken uns auf. erst ist der
Anspruch.
Anspruch,
Recht auf,
Recht,
wichtig - und wenn anders geschieht.
ich hasse dich nicht.
hasse nicht.
es schmerzt, befängt, peitscht mich.

Scharen von Dienern schieben
Scharen von Gerüsten mit Starken durch die Strassen.
manchmal sind es komplette Häuser, gute Stuben, Paläste.
sie lachen stark... "schön, so schön! Gott im Himmel!"

ein Loch in der an- und abschwellenden Geräuschwand.

S
an manchen Tagen klopft es in meinen Gliedern, meinen Händen. es durchwühlt mich, rast, zerfrisst meinen Leib, alles, alles, mich.

schwach erst noch fangen die Köpfe auf den Gerüsten von innen her an aufzuleuchten, das verändert ihre Züge. irgendwann erlöschen sie wieder.
die an- und abschwellende Geräuschwand wird lautstark aufgedreht.

M
sensationell! das ist
sensationell!

Chaos ist schlecht,
du musst aufräumen. du
solltest dich hüten es entstehen zu lassen, dann brauchst du nicht
aufzuräumen.
ich fühle mich wohl in starken Frauen.

in einem Tal der Geräuschwand.

S
mein Zustand geht niemanden etwas an. man könnte mich verhätscheln wollen, vollkommen unfähig machen. nicht bewusst, natürlich nicht.

M
ja! ja! ja!

 

XII. DIE Kammer der im Rücken Zerfressenen

nur die Glühbirne über dem Tisch ist an.
Stille, immer nur unterbrochen von der einen Zeile vom 'armen Gigolo'.
M und S fangen schliesslich an, miteinander zu tanzen, brechen den Tanz wieder ab.

M - als ob sie/er noch immer gegen die schrille Geräuschwand aufkommen müsse.
sensationell! das ist
sensationell!

"... wenn das Herz dir auch bricht, zeig ein..."

S
... auf meinen Rücken.

"... wenn das Herz dir auch bricht, zeig ein..."

nur Auge in Auge.

"... wenn das Herz dir auch bricht, zeig ein..."

nur diese Platte.

"... wenn das Herz dir auch bricht, zeig ein..."

schlimm ist die Zeit zwischen dem Ende der Melodie und ihrem Wiederanfang.

"... wenn das Herz dir auch bricht, zeig ein..."

was auf der Rückseite eingeprägt ist, weiss ich nicht.
es dauerte zu lange die Platte abzunehmen, umzudrehen, wieder aufzulegen.

"... wenn das Herz dir auch bricht, zeig ein..."

M
denen, die tatsächlich gehen, ziehen wir dann die Haut ab.
machen Luftballons draus.
abends sind es monströse Lampions.

"... wenn das Herz dir auch bricht, zeig ein..."

 

XIII. Die 'Parade'

grelles Licht ist auf die 'Parade' gerichtet. ein Marienlied auf einer Blockflöte.

M - preist dem Volk schreiend die letzten Attribute für die bevorstehende nächtliche Prozession an.
Hände! Penisse! Fotzen! Brüste!
Mundprothesen!
Glasaugen! Ohrmuscheln!
Hände!

Extrawünsche?

beinahe nicht von echten zu unterscheiden.
nach kurzer Zeit schon wissen Sie es nicht mehr.
Glasaugen! Handprothesen!

S
(zum Berühren - alles durchdringenden Berühren...)

M
Sie betasten diese Ihre Hände mit diesen Ihren Händen,
drücken diese Ihre Lippen auf diese Ihre Lippen,
stecken diese Ihre Penisse in diese Ihre Fotzen.
das geht alles sehr schnell und sauber und geräuschlos.
Ihre Haut bleibt glatt.
Temperatur und Pulsschlag gleichmässig.
es entsteht kein Fieber mehr.
Sie sind geheilt!

S
wozu das Theater?

M
es steht geschrieben.

S
(ob Augen schwarze Löcher sind, die wahllos in mich aufsaugen, und ich bin wehrlos allem ausgesetzt?)

M
Glasaugen lassen das zu Sehende abprallen.
wir sind sehr glücklich so.
wirklich sehr glücklich so.

Hände! Penisse! Fotzen! Brüste!
Mundprothesen!

 

XIV. Der Altar der Sehenden mit den sechs Augen und ihrem Sohn, aufgestellt an einer Strassenkreuzung

es ist dunkel, vielleicht ist die nackte Glühbirne wieder an. ein paar rosa Plastikpenislampen flackern vor oder auf dem Altar.
kein Geräusch.

M als M - singt, kniend vor der aufgetakelten S auf dem Altar.
sei gegrüsst, Sehende mit den sechs Augen, und dein Sohn.
Lichtbringerin.
Glanz, der unsere Augen blendet.
Du, die alles weiss, weil alles sieht, und dein Sohn.
vor Deiner goldenen Pracht beugen wir das Haupt.
in Ehrfurcht küssen wir den kalten Stein.
oh Licht.
Weihrauch.
Übelkeit.
unsere bleichen Gesichter.
wir harren schon so lange.
blind sind wir.
Dunkel umgibt uns.
Lichtbringerin.
erbarme Dich unser.
der Glanz Deiner Pracht blendet.
lasset uns die Augen schliessen.
schliessen wir die Augen.
lasset uns die Häupter beugen.
kalt war uns.
der Glanz der Pracht, mit der wir Dich umhüllen, erfüllt uns mit Glut.
oh Nacht der Nächte!
halleluja!
halleluja!

was hast du mit Deinen Augen gesehen?
mit Deinen gespreizten strammen Schenkeln?
was war, bevor das Gold kam? die Pracht?
Gold: Farbe des Todes,
heiliger
Gier.

S
"ich gehe mit meiner Laterne und meine Laterne mit mir. da o-"

M
den Sohn nehmen wir Dir ab,

S
"ben leuchten die Sterne und unten leuchten wir. mein Licht ist aus, wir gehn nach Haus'"

M
den Sohn schlagen wir uns ans Kreuz.

S
"rabimmel, rabammel, rabumm."

mit dem letzten Rabumm knallt S die Peitsche, verlässt diesen Altar.

ich peitsche dich auch aus, wenn du das wünschst!
ich tue, was du wünschst.
ich peitsche dich auch aus,
ich tue alles, was du wünschst.
ich peitsche dich auch aus, wenn du das wünschst.
ich tue alles, was du wünschst.

vielleicht ohrenbetäubendes Lachen aus ihrem Mund, von irgendwoher, sich überschlagend.

 

XV. Wieder die Kanzel

in dem grell ausgeleuchteten Raum ist die Szene noch greller ausgeleuchtet, ob und wo die Kanzel zu sehen ist steht nicht fest.
wieder bleibt undeutlich, ob die Kanzelworte vom Band oder von M gesprochen werden.
vielleicht das Ahnen von Orgelmusik, das abbricht.
M und S fangen an sich und einander der Maskerade zu entledigen.

M
selig, die tot sind im Herrn!
der Tod hat keine Macht über Tote.
Tote brauchen das Sterben, diesen schmerzhaften Alleingang, dieses
einsame Verbrechen, nicht zu fürchten.

S
sein Sterben gehört nur dem, der stirbt.
er kann sein Sterben nicht geben.
niemand, nichts kann es ihm nehmen.

M
Tote sterben nicht, nie.

S
er ist ihm verhaftet.

M
Tote sind unsterblich.

S
im letzten Gang ist kein Ausweg.

M
im Paradies, immer.

S
wir wissen nicht, was Sterben ist, nicht solange das Blut sich nicht teilt.

M
tot sein, ist unbelangbar, unbestrafbar sein.

S
dies Wissen ist mit dem Wissen aus, ohne Aussage und unantastbar.

M
für alles einsetzbar.

S
wir übertragen die Unantastbarkeit des Sterbens, des Wissens aus Sterben, auf den Toten.

der Tote hat nicht teil.
der Tote kann nicht tragen. nichts.
Tote können nicht geben, nicht vergeben, nicht empfangen.
keine Hingabe rührt euch, kein Handeln an und mit euch erweckt euren Zorn.
wir besteigen euch, legen uns unter euch.
stöhnen.
bei eurer geringsten Bewegung schlagen wir zu.

immer bleiben wir mit etwas in uns zurück, das noch nicht zu sterben schafft: Bruchstücke, kalte Larven. bei der geringsten Berührung kommt ihr auf, mit, für, gegen, zwischen uns. wuchert, gebärt euch aus unserem Blut. wir halten euch in Ehren. geben euch die Brust. leer gesoffen, bauen wir uns unsere geweihten, abschreckenden Kammern aus euch, beschlagen die Wände mit Leben, das Leben mit Wänden, beschlagen mit Leben. halten Ehrenwache. schlagen zu. unser Argwohn nährt sich von fast nichts.
- deine Augen ohne Weite mehr.
wir erheben die Toten, die Wiederkehr dessen, jener ohne Wiederkehr, bieten, türmen sie auf, legen sie über das Sterben, jetzt, schmücken sie aus, knien nieder.
- die bitteren Perlen auf deiner Stirn.
gegrüssest seiest du
- der Tote trägt nicht länger Name. der Name ist nichts ohne den, der ihn trägt.
voll der Gnade

an der Scheide des Todes hört unsere Ewigkeit auf.
manchmal zerbricht der Turm. wir reissen ihn ein. wir errichten ihn wieder. ihn, einen anderen, nach seinem Bild - unserem Bild. halten Wache. lächeln.

 

XVI. Die Kammer mit dem goldenen Schrein - das Spiel

von S auf ein Podest - Tisch oder Stuhl - gestellt, steht M bewegungslos, mit nacktem Lächeln da. S stellt sich dann in geziemendem Abstand vor ihm/ihr hin.
kein Geräusch.
intimes rosa Licht nur für diesen Raumausschnitt.

S
ich weiss:
jeder Schritt auf dich zu, rückt deine Kammer, rückt dich zwei Schritte von mir ab. auch die geringste Bewegung, einseitig ausgeführt, vergrössert den Abstand.

ich weiss:
nur wenn wir gleichzeitig aufeinander zugehen, könnten wir den Abstand überbrücken. (scheint der Abstand für eben ein reeller.)
das ist das Spiel, das ist die Regel.

S rennt auf ihn/sie zu? oder geht?

 

XVII. Im Zug

wieder das abwechselnd weisse und orange Neon, schwach nur, das sich langsam um langsam sich drehenden Punkte dreht.
das Kreischen der U-Bahn. der Widerhall des Kreischens.
es ist nicht mit Sicherheit zu sagen, wo M sich befindet. S setzt sich ins Abteil. es ist nicht mit Sicherheit zu sagen, ob der Zug anrückt, fährt. im Zug sitzt die Knabenpuppe. beider Aussehen wechselt durch die Beleuchtung von Asche zu Leben mit geröteten Wangen.

S
hatte ich kommen sollen und sehen und doch nicht? deine Wege gehen und doch nicht, sie nicht in mich eingingen? ich die Wehe nicht kennte, die Zeit? dein vor Lächeln eisiger Atem mich erstarrte, ich verzagte, mich reihte in die Schar deiner Larven, nicht weiterginge, nicht ausschrie - (immer empfange ich das Sterben, noch bevor ich komme).

die Larven des Todes sind unerbittlich - ihr Lächeln!

alles ist in uns, jedes Wort, jedes Zeichen, die Wucht, die Zartheit, mit der sie gezeichnet, die Härte des Zeugs in das sie gesetzt. Es prägt unsere Worte, Gesten, Züge, trifft den, auf den wir treffen. schlägt zurück, erst mit dem Rückstoss des eigenen Schlages, dann mit dem Schlag des anderen. ob es Mauern gibt, die keine Öffnungen für mich haben? und wenn ich sie aufmalte einritzte. wen habe ich so gezeichnet, ihn so entblösst?
aus deinem Blut gebären sich Strassen, entseelte Strassen,
roten Läufern gleich rollst du sie aus.

jedes nicht bis in die Asche ergangene Bild ist uns ein Gott, ein Nichts.

dasselbe grau/violette Licht wie am Anfang, noch schwächer, beinahe aus.
vielleicht noch ein letztes Kreischen des Zuges, weit weit ab.
das Ahnen einen Lichtstrahls?
als rissen Schutt und Trümmer sie ein, begrüben den Schoss. S öffnet den Mund, sie hat keine Stimme mehr, ihr lautloser Schrei bleibt im Raum hängen. vielleicht schon unter den Vorzeichen und Klängen wieder einer Kirmes.

Amsterdam, 1988/1992, Berlin 1994

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