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KARNEVAL DAS WEISSE GESICHT/1

eine Art Gesang

© Sabine Vess

die Fotos die ich für diesen Karneval gebraucht habe sind von Maarten Brinkgreve, Amsterdam

 

Licht fällt auf weiss-transparente Menschen nach Menschen. ihre
Schatten sind körperhaft, sind weiss, rot, blau durchtränkt wie das
Licht, stehen still, kreisen wie das Licht. wer die
Körper bewegt, bewegt auch die
Schattenkörper. des Menschen Schatten ist flach, schwarz.
Karnevalsmusik schwillt von überall her an und ab.

 

(ich bedecke)
Stirn,
Nase,
Augenbrauen,
Wangen,
Lippen...

du versteckst dich hinter diesem Weiss,
du versteckst dich.
du solltest aus dir herauskommen, gerade in diesen drei Tagen.
niemand trägt ein solches Gesicht.
du versteckst dich.
niemand wird dich
anfassen wollen - wie sollte ich dich
küssen?
das Weiss der Augen steht
rosa, gelblich fies
rosa, in jenem weissen Fleck. die aufgeblähten
Tränensäcke: bläuliche Schimmer. gelbe
Zähne stecken in
rosa schleimigem Zahnfleisch. ich kann das

Schweigen nicht länger ertragen, es klagt mich an. mein
würgender Schoss - einzige Öde. es gibt keinen
Abschied.
das dumpfe Tropfen in mir?

nichts, es ist
nichts, sagst du: gewesener
Tod. du sollst nicht begehren! ich

röte die Wangen,
röte die Lippen,
lächele. das aufgetragene

Rot zwingt, durchsetzt. Überschmieren ist sinnlos:

glimmendes, dicker, unbeweglicher werdendes, verblassendes
Rosa! ich wische das Rosa ab.

weiss sein! nur
weiss sein!

Augen!

 

Körper von
Menschen nach
Menschen.
dorr,
luzide, das
weisse Pigment:
Leere, umhüllte Leere.

Arme,
Beine,
Hüften,
Busen.
Hüften sind schwer.

massige
Schenkel
kleben zusammen, manche sind
gespreizt.

mancher Fuss berührt den Boden nicht. kein

Lachen. die

Gesichter sind starr, doch sind die
Gesichter schon schlaff, versteift wie die
Hüften, die
Glieder. zufällig aufeinanderstossende
tote
Becken. die aufgerissenen

Schösse, die
Rachen. die erhobenen
Hände, die erhobenen
Fäuste. gekräuselte
Haut liegt über flachen
Lippen. dein

Rücken war gerade, dein
Kopf steif vorausgestreckt, die
Sehnen straff gespannt.

blutdurchlaufene, wässrige Augen,
vergilbte Zähne. der
trockene Mund. von meinem
Gaumen ziehe ich eine Blutkruste. meine
Handteller sind rot. der

Boden gibt mich nicht frei.
nichts bin ich ohne euch, gehöre
nicht zu euch. ich

tanzt du mit mir? man
tanzt nicht allein
taumele von

Körper zu Körper, drehe die
Körper herum - eure starren Blicke! das

tanzt du mit mir?

Püppchen! das

fahle Gesicht zeigt aufreizend rote Flecken!
aufquellende, noch schwelende, weiss übertünchte
Asche. Tanz lässt vergessen, ist Kelter.

kalter Schweiss. mein holdes Lächeln. nur Zittern.

dreh dich!
noch auf Händen und Füssen kriechend im Kreise - einziger
dreh dich!
Irrsinn - bis der letzte Ton im mir verklungen ist.

Schlachter sind
Schlachter.
Schlachter wetzen die Messer.

 

aufgespiesste Leeren, Riesen darbender
Leiber, kein Feucht durchströmt euch. die aufgesperrten
Rachen, die hohlen
Brüste.

Wind
bewegt euch!

 

durch dunkle Gassen zieht unser Trauermarsch, eine Traube verschwitzter Klumpen, in schwarzen Jacken. unsere Ratschen zerreissen die Nacht. lotsen uns hindurch.
zum Markt!
weiter!
ein verkommener Lagerschuppen ist deine Ruhestätte.

 

Damast, schwerer weisser
Damast,
danke
teuer. wirst ihn gebrauchen können,
danke
sagtest du. du gabst ihn mir zu meinem dreizehnten Geburtstag.
danke
auf den bespeichelten abgezehrten Lippen,
das schmerzhaft, gierig satte Lächeln einer Kupplerin - des ewig
danke
schon Gewesenen, unentkömmlich
danke
schon Gewesenen - für alle Zeiten.
danke
danke
du wusstest, gabst nur noch Tücher und Laken,
dieses Lächeln, zu allen Festen, jahraus, jahrein.
danke
danke
danke
danke
Dankeschön
danke
Dankeschön
danke

ich habe ein Loch hinein geschnitten, mitten in den teuren Damast.
ich habe breite Fransen hineingeschnitten, bis dicht an das Loch heran.
ich habe jubelnd jeden Schnitt in meinem Leibe gespürt.

 

dumpfe Schläge.
Füsse bewegen.

starre
Gesichter.

ha! ha! der

Stab, der
Wimpel,

Masken
Grölen: küsse den Boden!

küsse mich!

 

aufgeriebene, zurückgesetzte Erde, du
erhebst dich, überrennst die
Männer samt ihrer Trommeln und Trompeten, kommst über sie. deine
Schenkel
würgen. Deine
Schenkel werden
zerschlagen. und du wirfst dich nicht nur auf die
Männer. einmal in Schwung geraten, wirfst du dich auf
alles, was bewegt.
stopfst in dich
hinein, stopfst in dich
hinein, deckst zu, zermalmst.
legst dich immer wieder vor ihre Füsse. klammerst dich
kreischend
fest. dies ist dein Tanz:

Trommeln und
Trompeten,
die Männer spielen auf; totes Holz, drehst du dich, schunkelst
schweren Beckens. die Masse deiner
Leiber, diese starre, klotzige hemmt noch, verhindert.

welche Hoffnung hält dich zurück?

(deine ausgestreckten Arme,
mein gepresster Schoss.)

 

drückst dich an mich, dein Buckel. das Lachen rutscht dir weg, schnaubt durch die Nase, deine Hände sind klamm. du schiebst mich durch die Menge, mähst stur die Leiber. den Kopf legst du stark auf meine Brust. klammerst dich fest. deine schlaffen Glieder. dein verkümmertes Fleisch. deine sabbrige hängende Lippe. auf der Stirn die Tropfen: klebriger Bitterkeit. kalt und feucht hast du dich mir verbunden.
Krüppel! du
Krüppel! Keine
Musik! lässt vergessen.

 

der Prinz!
Distance!
er trägt den Hermelin, die
Narrenkappe mit der langen gebogenen Fasanenfeder, die ganze
Würde, das
Zepter. mit zusammengekniffenem Hintern und Gesicht.

zwei Schritte
vor,
zwei Schritte
vor,
schiebt er die Unterlippe in den Mund.
schiebt er die Unterlippe in den Mund.
zwei
zurück,
zwei
zurück,
leckt er sie ab.
leckt er sie ab. dabei zieht er,
zwei Schritte
vor,
zwei Schritte
vor, die Oberlippe
hoch. die Oberlippe
hoch.
zwei Schritte
vor.
zwei Schritte
vor. die Nase ist ge-
kräuselt, ge-
kräuselt,
zwei Schritte
vor,
zwei Schritte
vor, die Schneidezähne
nackt.
nackt. zwei
zurück.
zurück. der Mund ge-
spreizt.
spreizt. er hebt die

Rechte,
Rechte, bis hin vor den gespreizten
Mund. -spreizten
Mund. er zeigt nur den Handrücken der weissbehandschuhten

Rechten.
Rechten. der Arm kommt aus der
Taille.
Taille.

er bewegt jetzt die Rechte auf sich zu. - Rechte auf sich zu.
er bewegt jetzt die Rechte von sich ab. - ab.
er bewegt jetzt die Rechte auf sich zu. - das Püppchen,

auf sich zu, von sich
ab,


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