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haben Sie keinen Namen?

© Sabine Vess 2022


eingraben in Sand, in verpulvert verpulvernde Städte, Salz; diese Hitze säuft leer.
irgendwo noch stürmen von Hoffnung Getriebene Maschinen nach irgendwohin.
ausser-leibliche Gedächtnisscheunen stürzen ab.

Sand, Salz in Rachen, in Rachen,
Fetzen versengten Papiers.

Köpfen begegnende Köpfe wenden sich hierhin, dahin ab,
Augen zukneifend, Augen zukneifend. wir tragen diese Rümpfe mit ihren offenen Rachen, mit Sicherheitsnadeln befestigten Armen und Beinen hierhin, dahin, stopfen Essen, schütten Trinken - was Sie wollen - rein in Rachen. schmeissen Bettlern Geld in Hüte. kaufen uns frei. Morgen sitzen sie wieder da.

so leer noch tut der Zug, tun die Strassen, durch die ich so oft gelaufen, durch die sich lange schon, ununterbrochen, immer und immer ins Stocken geratene, aneinander gedrängte Leiber mit Rollkoffern, essend, grölend, saufend, Selfies machend würgen, gut. auch die Bettler schlafen noch, könnten sie sich jetzt doch an die Beine der paar Passanten klammern ohne von aufrückenden, entgegenkommenden Schuhen zertreten zu werden.
im Zug hatte einer die Nacht auf dem Klo verbracht.
geschieht das oft?
nein, sporadisch.

die Jahreskonferenz zum Umsturz der Hoffnung mit Boten aus aller Herren Länder findet in der Staatsoper statt. da hatte ich die Tänzer mit ihren blutenden Füssen gezeichnet, im Schweiss des täglichen Trainings der Leichtigkeit mit seinem Schuss Angst.
früh hatte ich mich aufgemacht, die Kontrollen würden streng sein, früh schon mich angemeldet.

Abonnenten halten sich im Foyer des Saales auf, Freunde - sie bezahlen mehr, sind an Zahl geringer - gehen durch die Sperre bei der Treppe nach oben wie die Boten, der Direktor, sein Team. wer läuft, trägt eine Maske, wer sitzt oder an einem der wenigen Bartische steht, für eine Tasse Kaffee, mit Partner, mit Freunden zu sprechen, kann die Maske abnehmen.

in vorgeschriebenem Abstand zu einander, mit Maske, stellen wir uns vor den Saaltüren an. sitzen wir, dürfen die Masken abgenommen werden.

die Türen werden geöffnet.
die Reihen Mitte vorn sind für noch nicht oder nicht mehr auftretende Boten und Freunde. Aussagen, Stellungsnamen, Diskussionen unter Leitung des Direktors spielen sich auf der Bühne ab und detailliert heran gezoomt, auch verwahrlost das das Gesamtbild, im Film über der Szene.

verblieb nur ein Korn Grammatik in sich aus Eingegraben-Sein aufrichtenden Leibern, Körperschaften, installiert sie sich aufs Neue,
samt der auf der Bühne so verdammten, auszutilgenden Lügen, Korruption, der Gier.

nicht der Horizont, die Grenzen der Bewegungen ziehen sich enger um uns zusammen.
wer sich an die Grenzen der zugestandenen Bewegungen wagt, wird zurückgepfiffen, -geschlagen, in Besserungsanstalten verbessert.

Pause
beim Verlassen des Saales bekommen wir Tüten mit Essen und Saft. Kaffee und Wein kann gekauft werden. manche gehen gleich aufs Klo, manche später. die von oben können sich hier im Foyer unter uns begeben; wir, oben, nicht unter sie.
Achtung! haben Sie einen Platz mit Blick auf die Strassen ergattert, stopfen Ihnen Blicke, was Sie aus Ihren Tüten gefischt und ausgewickelt haben, rein in die Rachen. sitzen Sie allein, muss rechts und links ein Platz freibleiben.

die Saaltüren werden geöffnet.

sie müsse pinkeln, sagt sie - früher schrie sie 'fuck', stak den Mittelfinger hoch - steht auf,
geht,
kommt: wenn Sie auch müssen, bitte. geht
klatschend ans Mikrofon wie vor drei Jahren,
singt Gesänge.

klatscht und klatscht erhobener Hände:

kommt schon!
Elend,
Hunger,
Unterdrückung,

das Volk hat die Macht! (*) das
Volk hat
kommt!

  die verbotene Demonstration wurde zerschlagen, zog sich zigfach zersplittert in weiteren
  Strassen zusammen, die Absplitterungen wurden
  zerschlagen,
  zersplittert.

nicht aller Arme fliegen hoch.
nicht aller Hände klatschen.
kein Hintern reisst sich los vom Plüsch.
Mitsingen, Kreischen ist nicht gestattet.
noch zu einem Glas und Keksen und dem hinter Schutzscheiben Schreiben persönlicher
Widmungen: schön, Sie getroffen zu haben. haben Sie keinen Namen?

durch die Strassen würgen sich hitzige Leiber-Schlangen mit Rollkoffern.
die Schaufenster der
Sexarbeiter(innen) sind leer, die Kaufhäuser noch offen.

Muskelspiele
Rachen
Gegröle
Banner und Tamm! Tamm!
Völker spielt auf!

Gott wartet auf dich!
ruft eine Frau kurz vom Bahnhof.

die
Hüter
der
Ordnung
hierhin
dahin
gehetzt
erschöpft
ha!
ha!
und Morgen
ha!
ha!
ha!

 

(*) Patti Smith, 1981

 

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