index prosa under the sign of Frans Kafka, meine Zeichnungen von Kafka und seiner Zeichnungen |
Zeichenstunde mit Kafka
Ob ich etwas zu Kafkas Zeichnungen sagen könnte. V: Sie blieben zeichnen, schickten dieses 'Geschmiere', wie Sie es nannten, sogar Ihren Freunden.*2 K: "Ich wünschte mir immer, zeichnen zu können, ich wollte sehen und das Gesehene festhalten. Das ist meine Leidenschaft."*3 V: Es kriecht übereinander her, zerquetscht, zerquetscht, drängt nach vorn, nach vorn gedrängt, geschlagen, zurückgewiesen. Läufe fressen sich uns ein - wir uns in sie - höhlen Betten aus, überschwemmen sie, fressen sich neue Betten. K: "Ich habe heute [...] drei Frechheiten gemacht. Sie schmerzen mich wie Magenschmerzen. [...] Ich ging also aus mir heraus, kämpfte in der Luft, im Nebel, und das ärgste, dass es niemand merkte, dass ich auch gegenüber meinen Begleitern die Frechheit als eine Frechheit machte, machen musste, die richtige Miene, die Verantwortung tragen musste."*4 V: Ehe wir's uns versehen, kann sich solche Miene zu uns unbeweglich machenden alles bestimmenden Dimensionen auswachsen, die uns festnageln, zerknautschen; uns beschliessen lassen zu versteinern. Wachend über die richtige Miene, atmen unsere Poren was in uns herrscht aus. K: "Alles geschieht in ehrlichster Weise, nur dass innerhalb einer Befangenheit gearbeitet wird, die sich niemals löst, keine Ermüdung aufkommen lässt und durch das sich Heben einer geschickten Hand meilenweit sich verbreitet. Schliesslich heisst aber Befangenheit nicht nur die Verhinderung des Ausblicks, sondern auch jene des Einblicks, wodurch ein Strich durch alle diese Bemerkungen gezogen wird."*5 V: Was löst solch Verziehen des Mundes, solch Stehen, solch die Hände nach hinten Kehren in mir aus? Wie esse ich mit Händen ohne Finger? K: "Meine Zeichnungen sind Spuren einer alten, tief verankerten Leidenschaft. Die ist natürlich nicht auf dem Papier. [...] Die [...] ist in mir. - Meine Figuren haben keine richtigen räumlichen Proportionen. Sie haben keinen Horizont. Die Perspektive, deren Umriss ich da zu erfassen versuche, liegt [...] in mir."*6 V: Meine Zeichnungen Ihres Gesichts sind die Gebilde der von meiner Hand nachgezogenen Spuren der Läufe darin, durchtränkt von Ihrem und meinem Blut, dem Blute Ihrer und meiner Menschen. Die Hand ist blind für Proportionen und Perspektiven, weiss nichts von Vorschriften, tastet ab, knetet, schlägt. K: "Ich versuche, das Geschehene auf eine ganz eigene Weise zu umgrenzen."*7 V: Auf die Ihrer eigenen Umgrenzung oder die des eventuell Sie Sehenden? Dass niemand wisse, wo Sie sich befinden? - Die richtige Miene? K: "Meine Zeichnungen sind keine Bilder, sondern eine private Zeichenschrift."*8 V: Schlüssel, die Tür, wohinter Ihre Leidenschaft klopft, zu gegebener Zeit doch zu öffnen oder das Klopfen von da und, infolgedessen, sich da unter Verschluss halten zu können? K: "Ich bin eben noch immer in der ägyptischen Gefangenschaft. Ich habe noch nicht das Rote Meer durchschritten. "Nach dem Roten Meer kommt zuerst mal die Wüste", sagte J."*10 V: Vexierbilder sind Wüstenbilder. Da finden sich auch letztgezogene Spuren, irre Zeichen: ich war hier! Ihre Männchen kreuzen noch weit davon entfernt auf. K.: "Mein Herumzeichnen... V: Bilder geschehen uns. K: ... ist ein sich ständig wiederholender und misslingender Versuch primitiver Magie."*11 V: Am Rande der Wüstenzeit bewegt man sich nicht so munter mit lustig knackenden Beinen oder auf Händen und Füssen mit gestreckten Gliedern und Hut. Die Wüstenzeit wirft ihren Schatten voraus. Und wir setzten alles in Bewegung da nicht durch zu müssen, schärfen unsere Sinne. Der Kelch gehe, bitte, an uns vorüber. K: "Es ist meine alte Gewohnheit, reine Eindrücke, ob sie schmerzlich oder freudig sind, wenn sie nur ihre höchste Reinheit erreicht haben, nicht sich wohltätig in meinem ganzen Wesen verlaufen zu lassen, sondern sie durch neue, unvorhergesehene, schwache Eindrücke zu trüben und zu verjagen. Es ist nicht böse Absicht, mir selbst zu schaden, sondern Schwäche im Ertragen der Reinheit jeden Eindrucks, die aber nicht eingestanden wird, sondern lieber unter innerlicher Stille durch scheinbar willkürliches Hervorrufen des neuen Eindrucks sich zu helfen sucht, statt dass sie, was allein richtig wäre, sich offenbarte und andere Kräfte zu ihrer Unterstützung riefe."*12 V: Wie die richtigen Mienen fressen auch hinzugezogene schwächere Eindrücke Energie, die uns fehlt, wenn wir Kräfte zu unserer Unterstützung anrufen und die von aussen sich verweigern. K: "Ich bin ja wie aus Stein, wie mein eigenes Grabdenkmal bin ich. Da ist keine Lücke für Zweifel oder für Glauben, für Liebe oder Widerwillen, für Mut oder Angst im besonderen oder allgemeinen, nur eine vage Hoffnung lebt, aber nicht besser als auf den Grabmalen. Kein Wort fast, das ich schreibe, passt zum anderen, ich höre wie sich die Konsonanten blechern aneinander reiben und die Vokale singen dazu wie Ausstellungsneger."*13 V: Die von uns ergriffenen Hoffnungsschimmer schwirren uns im Kopf, nisten sich uns ein, entzünden sich. K: "Meine Zweifel stehen um jedes Wort im Kreis herum, ich sehe sie früher als das Wort. Ich sehe das Wort überhaupt nicht, das erfinde ich. Das wäre ja noch das grösste Unglück nicht, nur müsste ich dann Worte erfinden können, welche imstande sind, den Leichengeruch in einer Richtung zu blasen, dass er mir und dem Leser nicht gleich ins Gesicht kommt."*14 V: Das Erfinden 'des' Wortes für unsere Stätten, den Tempel, wie Sie sagen, ist vielmehr - für mich - sein Herausklopfen aus dem Klangkörper, der ich bin. Meine Worte legen lange Wege ab. K: "... auf jedem Stein - aus welchem Bruche stammten sie? - unbeholfenes Gekritzel sinnloser Kinderhände oder vielmehr Eintragungen barbarischer Gebirgsbewohner zum Ärger oder zur Schändung oder zu völliger Zerstörung mit offenbar grossartig scharfen Instrumenten für eine den Tempel überdauernde Ewigkeit eingeritzt."*15 V: Wir lesen, auch was wir selbst einritzen, mit dem Wissen, den daraus entstandenen Normen unseres Gestern - das Heute ist noch ohne Abstand - programmieren uns. Manches fassen wir noch gar nicht. K: "Immer [...] habe ich so eine quälende Lust, die Dinge so zu sehen, wie sie sich geben mögen, ehe sie sich mir zeigen. Sie sind da wohl schön und ruhig. Es muss so sein, denn ich höre oft Leute in dieser Weise von ihnen reden."*16 V: Und Ihre Menschen huschen, hüpfen gesenkten Hauptes von da nach da. Als wehe etwas sie auf. Jemandes riesiger Umriss, weiter hinten, wo die anderen herkamen, verblasst. K: "[...] die Treppe hoch, wenn es sein muss, unter Purzelbäumen."*17 V: Sich seitwärts rauf rollen wäre möglich. Dann aber müssen wir die vielleicht schon abbröckelnden Stufen voller Unrat - jeder putzt und unterhält ja, wenn schon, nur seine Treppe - wieder runter, kollern. K: "[...] mussten [...] bei jedem Schritt ihre Füsse hochheben..."*18 V: Das Pferd da ist dem Jockey durch die Hinterhand gesackt, mit aufgerichtetem Penis-Leib, überangewinkelter Vorhand. Es wendet dem Jockey das Gesicht zu. Der schwingt die Peitsche. K: "Wir dürfen den Willen, die Peitsche, mit eigener Hand über uns schwingen."*19 V: Nie kann diese Formation mehr weg. Sie müssten ihr Muskeln geben, in das Spannungsverhältnis der Bewegung eingreifen. K: "Ich will ja weg."*20 V: Und rasen ohne Grund, ohne Hintergrund, mit Füssen, die nicht laufen können, werfen keinen Schatten. K: "Als wichtigster oder reizvollster ergab sich der Wunsch, eine Ansicht des Lebens zu gewinnen, in der das Leben zwar sein natürliches schweres Fallen und Steigen bewahre, aber gleichzeitig als ein Nichts, als ein Traum, als ein Schweben erkannt werde."*21 V: Ich habe Ihrem Luftläufer um sein Spiel zu begreifen Füsse und das entsprechende Muskelspiel verpasst. Das machte einen Eisschnellläufer aus ihm. Das ist mir noch zu schnell. Ich muss mich Schritt für Schritt, ganz und gar und immer aufs Neue vom Boden absetzen. Da lag ich, hatte, ganz leicht, keinen Boden mehr unter den Füssen. Füsse brauchen immer einen Grund zum Laufen. Drei Luftschritte hoch schafft ein Seiltänzer. K: "Ich erfasse Dinge um mich nur in so hinfälligen Vorstellungen."*22 V: Und Ihren gezeichneten Beinen keine funktionsfähigen Füsse. Es hat gedauert, bis ich laufen könnende Füsse und greifende Hände zeichnen konnte. K: "Vor dem Einschlafen hatte ich [...] die zeichnerische Vorstellung einer für sich bergähnlich in der Luft abgesonderten Menschengruppe, die mir in ihrer zeichnerischen Technik vollständig neu und einmal erfunden leicht ausführbar schien. Um einen Tisch war eine Gesellschaft versammelt [...], von allen Leuten aber sah ich vorläufig mit einer grossen Gewalt des Blickes nur einen jungen Mann in altertümlichem Kleid. Den linken Arm hatte er auf den Tisch gestützt, die Hand hing lose über seinem Gesicht, das spielerisch zu jemandem aufschaute, der sich besorgt oder fragend über ihn bückte. Sein Körper, besonders das rechte Bein, war mit nachlässiger Jugendlichkeit gestreckt, er lag mehr als er sass. Die zwei deutlichen Linienpaare, welche die Beine begrenzten, kreuzten und verbanden sich leicht zu den Grenzlinien des Körpers. Mit schwacher Körperlichkeit wölbten sich zwischen diesen Linien die bleichgefärbten Kleider. Vor Erstaunen über diese schöne Zeichnung, die mir im Kopf eine Spannung erzeugte... V: Vorstellungen sollten Sie im Bauch erfassen. K: ... die meiner Überzeugung nach dieselbe und zwar dauernde Spannung war, von der, wann ich wollte, der Bleistift in der Hand geführt werden könnte, zwang ich mich aus dem dämmernden Zustand heraus, um die Zeichnung besser durchdenken zu können. Da fand ich allerdings, dass ich mir nichts anderes vorgestellt hatte, als eine kleine Gruppe aus grauweissem Porzellan."*25 V: Anders als die Vorstellung, die in uns steht, wird ihre Zeichnung Strich für Strich ins Leben gerufen. Manchmal bleiben nur Fetzen, herausgerissen, vergilbt. K: "Waffen, so selten angewendet, ich dringe so schwer zu ihnen vor, weil ich die Freude an ihrem Gebrauch nicht kenne, als Kind nicht gelernt habe."*26 V: Vieles hinkt Ihren Vorstellungen nach, zum Beispiel die Verzweiflung des so Verzweifelten am Tisch. K: "Verzweiflung über meinen Körper und über die Zukunft mit diesem Körper. Wenn sich die Verzweiflung so bestimmt gibt, so an diesen Gegenstand gebunden ist, so zurückgehalten wie von einem Soldaten, der den Rückzug deckt und sich dafür zerreissen lässt... V: Diesen zerreisst es nicht. K: ... dann ist es nicht die richtige Verzweiflung. Die richtige Verzweiflung hat ihr Ziel gleich und immer überholt."*27 V: Nichts ist abgerundet, dauernd hört auf, verblasst, bricht ab. Der nächste Blick ist der erste und nichts garantiert ein Erkennen. K: "Es erfasst mich oft ein trauriges Erstaunen über meine Gefühllosigkeit. Ich bin von allen Dingen durch einen hohen Raum getrennt, an dessen Begrenzung ich mich nicht einmal dränge."*29 V: Wie müssen Sie sich gefühlt haben, als Sie sich in der offenen Schädeldecke im Porträt Ihrer Mutter verschlungen ringen sahen. Auch auf den Kopf gestellt zeigt sich Ihr Ringen raus aus dem Schädel.
*) Die damalige 'Zeichenstunde' erschien im Mai 1998 im 'Kafka Katern' des 'Niederländischen Frans Kafka-Kreises' (Nederlandse Frans Kafka-Kring).
... Zitate aus Kafka Texten
*1 KT 03.01.1912 |
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