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Messerstechereien sind hier keine Seltenheit© Sabine Vess2015/16
hündische Unterwürfigkeit von den Wänden her schreit es. neue Zahlen Köpfe rollen. wir sind weiss, ganz in Weiss, schaufelt auf! Köpfe kotzen. Wände schreien nicht. das Erste mit vierzehn ich bin die Mutter. wir sind weiss, ganz in Weiss, grosses Mädchen, presste die Schenkel fest zusammen. das Kommen des Kindes dauerte Tage. frisst peitschende Rhythmen magere Mädchen kommen atmen schaufeln sich auf, in sich rein eine kam spät, sagte, sie käme nicht, ging. weit nach der Haltestelle erst hält der Bus. zurück durch den grauen Sand, entlang der Piste, schweren Lastern, Umzäunungen - ganze Hügel sind umzäunt - verwitternden Riesenpappkartons: den ersten Behausungen. nach Presseberichten über das Kotzen und Sterben von Kindern nach dem Essen von durch Rattenkot und -harn vergiftetem Reis, ausgeteilt seitens der Regierung, glaubten sie nachts in ihrem seit Wochen sich anhäufenden Abfall Gescharre zu hören. auch diese Schnulze? kalte nasse Hände wieder raus auf den Strich. Vater hat Krebs. ja, einen ambulanten Handel: Bonbons, Haarnadeln, Abzeichen; stückweise. das mit der Ausgabe des durch Rattenkot und -harn vergifteten Essens an die Kinder der Ärmsten der Stadt vor der Hölle, wo ich mich in dieses Land verliebt hatte. den Bildern und Berichten zufolge hat sich da bis auf das vergiftete Essen nichts geändert. Zuhause zuhause missbraucht, alle zuhause missbraucht, auf die Strasse, den Strich geschickt. bis dies hier Park wurde, lebten wir hier zwischen Sträuchern, Disteln, Schutt. auf dem Rasen vor der Kaimauer zwischen Blumenbeten, Abfällen, Scheisse knattert einer auf 'nem Moped vorbei: zur Hölle mit euch! mögen Aids und Tuberkulose euch holen! die Regel? es bedarf anderer Strukturen unseres Denkens, Handelns - vier, fünf Generationen. Süchtige lügen. heute Mittag Lurín! ich will nach kein Wasser. küsse sie! auch sie küssen, befummeln sie, schesen, verpetzt, aus dem Haus. der hinterher. schesen bei der Haltestelle der Fernbusse auf die Fussgängerbrücke. der über die Fahrdämme: es sind Kinder! kommt von der anderen Seite, fängt sie ein, fängt sie wieder ein. tanzt auch auf der Bühne mit dem Kleinen in dunklem Anzug und Schlips und Kragen; hölzern, zauberhaft, abstossend. schwanger von ihrem Typ, der sie schlägt. meine vollgezeichneten Hefte, Blätter, Fetzen Geld zerfrisst Menschen. auf schaufeln! fressen! kotzen! du kannst einem Hund noch soviel Geld vor die Schnauze halten alle Jungs an die Wand! wir schlafen in lausigen Löchern am Fluss, das Haus an äusserster Peripherie hatte ich dir auf deinem Sterbebett versprochen. hier ist kein Haus. wer auf ihn geschossen hatte? im Auftrag wessen Beschützer? da lag er, da, etwas weiter, kein Augenzeuge, keiner, der gesprochen hatte. das etwas Schmuddelige der Dicken, Dünnen. Bitterkeit, Erhabenheit, Abwehr verströmende Haltungen, Züge. wohin mit all den Menschen? woher, fragt das graue Gesicht, eingerahmt in Braun auf Braun, woher? dreht sich um, überquert die Strasse. ich lege meine Hand an den Hals des Alten wie damals an den des Mannes, der nicht mein Mörder geworden war. zu blutrünstigen Altären versteinernde Menschen. ihre Haut: der graue Unterton. auf schaufeln! zitternd aus tiefsten Tiefen verlasse ich das Haus. auf der Brücke kommt ein Mann mit Hund auf mich zu. das Zittern verebbt. die Köchin ist dick. die Mutter heult beim Eintritt der Tochter ins sechzehnte Lebensjahr - mit Brautkleid, Stöckelschuhen. das Kind schiebt den Stuhl wie einen Rollator durchs Zimmer, die offene Tür, immer bis hin zur Stufe vor dem Sandpfad; tanzt alles, auch das nicht Wagen des Nehmens der Stufe, geht in die Knie. kleben überall Luftballons hin, zerknallen alle Luftballons: zack! leer geschnüffelte Kleisterbeutel. Menschen mit grossen Löchern im Bauch: kalt fegt's mir durch die Knochen. unruhige Nacht. skandierendes Geschrei auf der Strasse. leere Büchsen knallen auf Asphalt, hallen in Höfen. dreissig, vierzehn davon im Knast - zwei verschiedenen - ein Glas Wein, bitte. entlang drei Reihen geladenen Stacheldrahts auf hohen Mauern fleckige Haut gichtige Alte binden sich morgens Schilder um die Bäuche. dass eine Familie davon leben kann. jeden Morgen binden sich die Alten die Schilder um die Bäuche. kaum raus, dröhnt er sich zu, schwängert, schlägt sie. ich sehe dieses ganz andere Theater: das Theater nur Teil. ins Messer seines Bruders. in allen Häusern hier herrscht Kälte. bedienten sich der Mutter, bedienten sich des Säuglings, der da lag, des Mädchens. ohne jegliches Gefühl, in diesem Brautkleid, das es nicht füllt, Stöckelschuhen, die es bei jedem Schritt einknicken lassen, probiert dieses Mädchen jetzt dirty Dancing wie die Mutter. dann ist die Mutter tot. das ist OK, sagt das Mädchen. eingewickelt in Decken verbringen sie ganze Tage. presste bei der Geburt die Schenkel zusammen, spuckt blutigen Schleim. kleine gedrungene Figuren aufgehend in kommender Nacht - halb oder gut durch? gut durch - stellen ihre Holzkohlengrills vor die Tür, bieten wie immer zu allen Zeiten, was sie mehr kochen können als für die Familie nötig, Gästen für Geld an. irgendwann sacken die mit Betonskeletten durchzogenen Dünen unter der Strasse in sich zusammen. was tun mit all denen, die nichts gelernt haben und dann nicht mehr lernen wollen? Frauenhinterns Bewegungen erstarren, obwohl er sich weiter bewegt, presst Pickel aus. mein Bruder sitzt, habe einer Freundin die Tür geöffnet, musste weg, komme zurück, Handy weg, Bargeld weg. ich singe in Kneipen, prostituiere mich. der ist schwul, der auch, der für Geld. jemand muss an unserer Motivation arbeiten. wir brauchen Vorbilder. in unseren Heeren bist du mit fünfundzwanzig, dreissig hinüber, vergammelst im Abfall. Exkremente von Ratten vergiften Nahrungsmittel. Viren, Mikroben, Bazillen wissen nicht, können nicht wissen, dass sie Menschen fressen; fressen, morden, fressen. wann? wer? wo? das Programm wird sicher nicht eingehalten, sicher nicht. Kinder mit alten Rücken schlurfen durchs Haus, schlagen ihre so süssen Kinder. ich gebe ihnen goldene Augen, Lippen, das Einzige, was von ihnen bleibt, bis jemand das Gold raus schmilzt. unsere Anwesenheit nistet in den Wänden des Hauses, schwebt durch die Räume, auch wenn wir weg sind; nistet in einander Leiber, Hirnen. auch wer bleibt, ist eben weg aus zu naher Nähe. irgendetwas von ihnen liegt irgendwo, lähmt ihre Anwesenheit, was die der anderen lähmt. als falle im Tanz alles von ihnen ab, habe das Elend sie eben nicht im Griff. der hat den mit seiner TBC angesteckt. die Fahrer sind verrückt. die Schaffner quetschen die Fahrgäste rein. keiner der Fahrgäste lässt sich nicht rein quetschen. hocken vor dem Staketenzaun des Paradieses, dürfen ja ohne Begleitung nicht einmal ins Fegefeuer, sind alle ziemlich zu. Frauenhinterns Haut ist spröde. er schminkt sich, zupft sich und anderen Haare aus. die Hose rutscht ihm beim Bücken bis unter die Ritze. immer mehr sterben auf der Strasse. Rattenkot? irgendwann, wenn Hunde begreifen, dass der andere eine grössere Hütte hat irgendwann ist sie schwanger. alle Jungs an die Wand! die am Fluss sie tünchen ihre Häuser rot.
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