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Messerstechereien sind hier keine Seltenheit

© Sabine Vess
2015/16

 

hündische Unterwürfigkeit
Sicherheit
Wut ist schwarz, dieses
Lachen!

von den Wänden her schreit es.

neue Zahlen
Kinder
Tote

Köpfe rollen.

wir sind weiss, ganz in Weiss,
straffen Röcken knapp bis über die
Ärsche,
tippeln auf hohen Stöckelschuhen,
sehr hohen Stöckelschuhen,
unsre Fersen knicken bei jedem Schritt ein.
Laster parken:
Röcke hoch!
Schwänze raus!

schaufelt auf!
schaufelt rein!
leckt die Lippen!

Köpfe kotzen.
Wände schreien.

Wände schreien nicht.

das Erste mit vierzehn
das Dritte im Bauch
Luftballons, Unmengen
Luftballons
Zuckerzeug
Musik

ich bin die Mutter.
das Brautkleid, schön,
nicht wahr?
der magere Leib
tanzt mit dem Kleinen in dunklem Anzug und Schlips und Kragen,
tanzt auf hohen Stöckelschuhen.

wir sind weiss, ganz in Weiss,
straffen Röcken knapp bis über die
Ärsche,
tippeln auf hohen Stöckelschuhen,
sehr hohen Stöckelschuhen,
unsre Fersen knicken bei jedem Schritt ein.
Laster parken:
Röcke hoch!
Schwänze raus!

grosses Mädchen,
grosses dickes Mädchen!

presste die Schenkel fest zusammen. das Kommen des Kindes dauerte Tage.

frisst
schwillt
Schweissperlen auf der Stirn
greift zur Flasche
greift zur Flasche

peitschende Rhythmen
Haltezeichen wie das
Händeklatschen
Händeklatschen mit
Frauenhintern
Lachen, das nirgends hingehört
Fressen
Lecken am Lippenring

magere Mädchen
fette Mädchen
weisse Kleidchen
dunkle Anzüge
Tuberkulose
Klingeln im Ohr
Klingeln im Ohr
immer kalte nasse Hände
Stocken
Weiter
Stocken

kommen
gehen
schlurfen alt, die Rücken über die Schultern gezogen
kichern

atmen
nie durch

schaufeln sich auf, in sich rein
saufen sich taub
saufen sich morgens schon taub

eine kam spät, sagte, sie käme nicht, ging.

weit nach der Haltestelle erst hält der Bus. zurück durch den grauen Sand, entlang der Piste, schweren Lastern, Umzäunungen - ganze Hügel sind umzäunt - verwitternden Riesenpappkartons: den ersten Behausungen.

nach Presseberichten über das Kotzen und Sterben von Kindern nach dem Essen von durch Rattenkot und -harn vergiftetem Reis, ausgeteilt seitens der Regierung, glaubten sie nachts in ihrem seit Wochen sich anhäufenden Abfall Gescharre zu hören.

auch diese Schnulze?
ja.

kalte nasse Hände

wieder raus auf den Strich. Vater hat Krebs. ja, einen ambulanten Handel: Bonbons, Haarnadeln, Abzeichen; stückweise.

das mit der Ausgabe des durch Rattenkot und -harn vergifteten Essens an die Kinder der Ärmsten der Stadt vor der Hölle, wo ich mich in dieses Land verliebt hatte. den Bildern und Berichten zufolge hat sich da bis auf das vergiftete Essen nichts geändert.
und der Reichtum unter ihren Füssen?
ja, und?

Zuhause
Strasse
Strich

zuhause missbraucht, alle zuhause missbraucht, auf die Strasse, den Strich geschickt.
von unseren Vätern, Müttern, Brüdern, Lovern. haben uns auf die Strasse gerettet. sind dann oder gleich auf den Strich.
Vater unser, der du bist im Himmel
das erste Kind
Aids
von unseren Stiefvätern, Müttern, Brüdern, Lovern. sind gleich auf den Strich.

bis dies hier Park wurde, lebten wir hier zwischen Sträuchern, Disteln, Schutt.
bis der Park den Status Paradies erhielt, trafen wir uns hier, probten. Passanten schauten. manche klatschten.
was probt ihr?
das Theater des täglichen Lebens.
manche zogen ihre Kinder weg.
bis das Zentrum von unsereins frei erklärt wurde, probten wir hier.
es bedurfte allerdings jeweils einer schriftlichen Erlaubnis für eine befristete Zeit und wir hatten den Ort gemeinsam zu betreten und zu verlassen.
freundlicherweise lassen uns die Wächter eines bestimmten Eingangs in ihrem Bereich des Vor-Paradieses, des Fegefeuers, doch proben.
da wir nicht ins Paradies dürfen - ihr schon - können wir nicht auf die Klosetts des Paradieses.
das Fegefeuer ist die Stätte ohne Klosetts, ohne seine Notdurft verrichten zu können.

auf dem Rasen vor der Kaimauer zwischen Blumenbeten, Abfällen, Scheisse knattert einer auf 'nem Moped vorbei: zur Hölle mit euch! mögen Aids und Tuberkulose euch holen!

die Regel?
das Blut ist im Urin.
Tuberkulose?
nein.
wir sprechen mit allen, teilen Brötchen mit Schinkenwurst aus und Becher Limonade.

es bedarf anderer Strukturen unseres Denkens, Handelns - vier, fünf Generationen.
Korruption gewinnt immer die Oberhand.
Klauen
Lügen
Versprechen
Versprechen einlösen mit immer horrenderen
Versprechen

Süchtige lügen.

heute Mittag
morgen früh
Nachmittag
Montag früh
Nachmittag
Dienstag früh
Mittag
Nachmittag
ihre Hupe! ich renne raus, steige ein - und dann das ewige Gerede über Respekt.

Lurín! ich will nach
Lurín!
Lurín! schreit spät, schreit früh die Irre auf den Strassen.

kein Wasser.

küsse sie! auch sie küssen, befummeln sie, schesen, verpetzt, aus dem Haus. der hinterher. schesen bei der Haltestelle der Fernbusse auf die Fussgängerbrücke. der über die Fahrdämme: es sind Kinder! kommt von der anderen Seite, fängt sie ein, fängt sie wieder ein.

tanzt auch auf der Bühne mit dem Kleinen in dunklem Anzug und Schlips und Kragen; hölzern, zauberhaft, abstossend.
das Brautkleid, die Stöckelschuhe nicht vergessen!

schwanger von ihrem Typ, der sie schlägt.
nicht von einem Freier? geht ja auf den Strich für ihren Typ.
hier habe ich Kaugummi verkauft.

meine vollgezeichneten Hefte, Blätter, Fetzen

Geld zerfrisst Menschen.

auf schaufeln! fressen! kotzen!
auf schaufeln! fressen! - sie kotzen nicht.

du kannst einem Hund noch soviel Geld vor die Schnauze halten

alle Jungs an die Wand!
ich doch nicht, ich doch nicht!
auch ihm wird von unten zwischen Eier und Schwanz gefasst.

wir schlafen in lausigen Löchern am Fluss,
auf Bänken im ehrwürdigen Zentrum,
dröhnen uns zu, Leib an Leib.

das Haus an äusserster Peripherie hatte ich dir auf deinem Sterbebett versprochen. hier ist kein Haus.

wer auf ihn geschossen hatte? im Auftrag wessen Beschützer? da lag er, da, etwas weiter, kein Augenzeuge, keiner, der gesprochen hatte.

das etwas Schmuddelige der Dicken, Dünnen. Bitterkeit, Erhabenheit, Abwehr verströmende Haltungen, Züge.

wohin mit all den Menschen?
nach dem Aufsprung auf den Zug - was willst du?

woher, fragt das graue Gesicht, eingerahmt in Braun auf Braun, woher? dreht sich um, überquert die Strasse.

ich lege meine Hand an den Hals des Alten wie damals an den des Mannes, der nicht mein Mörder geworden war.

zu blutrünstigen Altären versteinernde Menschen.
jedes Paradies grenzt aus.
jede Hölle auch.

ihre Haut: der graue Unterton.

auf schaufeln!

zitternd aus tiefsten Tiefen verlasse ich das Haus. auf der Brücke kommt ein Mann mit Hund auf mich zu. das Zittern verebbt.
das Bett zitterte mit, wir konnten den Leib nicht beruhigen, die ganze Nacht nicht.
unter den Messerstichen von damals schlafe ich tagtäglich ein.
Gewalt löst Eigenbetäubung aus, ist Droge, putscht auf, stumpft ab. alles verschiebt sich, drückt ins Aus.

die Köchin ist dick.

die Mutter heult beim Eintritt der Tochter ins sechzehnte Lebensjahr - mit Brautkleid, Stöckelschuhen.
die schweren Brüste an dem nicht mehr ganz so mageren Leib. sie spuckt rosa. ihr Typ schnüffelt, gelobt, schnüffelt.
du bist mager geworden, sagt sie. sie war damals schon verlebt. ist wieder anschaffen gegangen, ist hier mit neuem Kind.
kommen, tanzen zum Schmerz den sie besingen.

das Kind schiebt den Stuhl wie einen Rollator durchs Zimmer, die offene Tür, immer bis hin zur Stufe vor dem Sandpfad; tanzt alles, auch das nicht Wagen des Nehmens der Stufe, geht in die Knie.

kleben überall Luftballons hin, zerknallen alle Luftballons: zack!
die sogenannten Familienabende sind wie die nicht funktionierenden Klosetts.

leer geschnüffelte Kleisterbeutel.
der kommt nachts nicht zurück.
der ist im Gefängnis. der in den Baum kletterte: schaut doch! seine Frau bunt und blau schlug.

Menschen mit grossen Löchern im Bauch:
stopf mir mein Loch!
stopf mir mein Loch!

kalt fegt's mir durch die Knochen. unruhige Nacht. skandierendes Geschrei auf der Strasse. leere Büchsen knallen auf Asphalt, hallen in Höfen.
der Sohn ist zurückgekommen, für eine Woche.

dreissig, vierzehn davon im Knast - zwei verschiedenen -
schreibt er tränenrührige Gedichte.
überall Männer mit Dokumenten.
überall häkelt er Täschchen für Handys.
keine Erlaubnis: kein Klosett!
fette Paschas klatschen in die Hände, lassen ihre Püppchen tanzen.
Kleine schnüffeln.
häkelt abscheuliche Täschchen für Handys,
singt seine tränenrührigen Gedichte unter dramatischen Gebärden.

ein Glas Wein, bitte.

entlang drei Reihen geladenen Stacheldrahts auf hohen Mauern

fleckige Haut
feucht kalte Hände
ausgezehrtes Haar

gichtige Alte binden sich morgens Schilder um die Bäuche. dass eine Familie davon leben kann. jeden Morgen binden sich die Alten die Schilder um die Bäuche.

kaum raus, dröhnt er sich zu, schwängert, schlägt sie.
nein, sie spucke kein Blut, das komme von der trockenen rissigen Schnüffler-Kehle, sei auch zu gut genährt - hatte ich bei dem auch gedacht.
schlagen die Plastikbecher aneinander, die Plastikbecher aneinander.

ich sehe dieses ganz andere Theater: das Theater nur Teil.
nur das Theater!

ins Messer seines Bruders.
im Gefängnis, im Gefängnis, vierzehn Jahre im Gefängnis.
ich weiss nicht, ob das Geld fehlt, ich sehe es nicht.
wieder ein Kind geboren.
abgebrochene, wieder aufgenommene Bewegungen des immer gleichen Tanzes.

in allen Häusern hier herrscht Kälte.
das Schlimmste sind die Klosetts, auch setzt sich der Leib schliesslich darüber hinweg: Augen zu! ich rieche die Scheisse, die Pisse.
willst du bleiben, bleib. willst du gehen, geh.

bedienten sich der Mutter, bedienten sich des Säuglings, der da lag, des Mädchens. ohne jegliches Gefühl, in diesem Brautkleid, das es nicht füllt, Stöckelschuhen, die es bei jedem Schritt einknicken lassen, probiert dieses Mädchen jetzt dirty Dancing wie die Mutter. dann ist die Mutter tot. das ist OK, sagt das Mädchen.

eingewickelt in Decken verbringen sie ganze Tage.

presste bei der Geburt die Schenkel zusammen, spuckt blutigen Schleim.
schreien nicht, nicht einmal ihre Gesichter, begreifen, dass sie nicht weiterkommen, warum dann kommen bleiben?

kleine gedrungene Figuren aufgehend in kommender Nacht - halb oder gut durch? gut durch - stellen ihre Holzkohlengrills vor die Tür, bieten wie immer zu allen Zeiten, was sie mehr kochen können als für die Familie nötig, Gästen für Geld an.

irgendwann sacken die mit Betonskeletten durchzogenen Dünen unter der Strasse in sich zusammen.

was tun mit all denen, die nichts gelernt haben und dann nicht mehr lernen wollen?

Frauenhinterns Bewegungen erstarren, obwohl er sich weiter bewegt, presst Pickel aus.

mein Bruder sitzt, habe einer Freundin die Tür geöffnet, musste weg, komme zurück, Handy weg, Bargeld weg.
du weisst ja, wie das funktioniert.
eine Freundin!
na und?

ich singe in Kneipen, prostituiere mich. der ist schwul, der auch, der für Geld.

jemand muss an unserer Motivation arbeiten. wir brauchen Vorbilder. in unseren Heeren bist du mit fünfundzwanzig, dreissig hinüber, vergammelst im Abfall.
und die Vorbilder?
er zuckt mit den Achseln.

Exkremente von Ratten vergiften Nahrungsmittel.

Viren, Mikroben, Bazillen wissen nicht, können nicht wissen, dass sie Menschen fressen; fressen, morden, fressen.
die hier grassierende Amnesie...

wann? wer? wo? das Programm wird sicher nicht eingehalten, sicher nicht.

Kinder mit alten Rücken schlurfen durchs Haus, schlagen ihre so süssen Kinder.

ich gebe ihnen goldene Augen, Lippen, das Einzige, was von ihnen bleibt, bis jemand das Gold raus schmilzt.

unsere Anwesenheit nistet in den Wänden des Hauses, schwebt durch die Räume, auch wenn wir weg sind; nistet in einander Leiber, Hirnen. auch wer bleibt, ist eben weg aus zu naher Nähe.

irgendetwas von ihnen liegt irgendwo, lähmt ihre Anwesenheit, was die der anderen lähmt.

als falle im Tanz alles von ihnen ab, habe das Elend sie eben nicht im Griff.

der hat den mit seiner TBC angesteckt.
der hat keine TB.
der ernährt sich wieder schlecht.
sie hatte für ihn gekocht.
Lustlosigkeit ist tödlich.

die Fahrer sind verrückt. die Schaffner quetschen die Fahrgäste rein. keiner der Fahrgäste lässt sich nicht rein quetschen.

hocken vor dem Staketenzaun des Paradieses, dürfen ja ohne Begleitung nicht einmal ins Fegefeuer, sind alle ziemlich zu. Frauenhinterns Haut ist spröde. er schminkt sich, zupft sich und anderen Haare aus. die Hose rutscht ihm beim Bücken bis unter die Ritze.
nicht älter als sieben, kämpfen sie schwer mit einander.
gerade aus dem Knast klaut er weiter, die dreijährige Tochter ist dreckig, das Baby auf irgendeinem dreckigen Zimmer.
sie hat Blut im Urin.
wir teilen Brötchen mit Schinkenwurst aus, kein Geld.

immer mehr sterben auf der Strasse.
es gibt mehr Menschen.
Busse stürzen in Schluchten.

Rattenkot?
Rattenharn?
Rattengift?
sie schneidet eine Konservendose auf, frisst den Inhalt vor laufender Kamera direkt aus der Dose, stirbt nicht, kotzt nicht.

irgendwann, wenn Hunde begreifen, dass der andere eine grössere Hütte hat

irgendwann ist sie schwanger.

alle Jungs an die Wand!
ich gehe dann auf ihn zu, reiche ihm die Hand. Auge in Auge tanzen wir, lachen.

die am Fluss
die, die nicht aufstehen wollen
heute nicht, nein, meine Stimme

sie tünchen ihre Häuser rot.

 

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