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gut, dass es im Oktober noch nicht so heiss ist© Sabine Vess, 2011nein, oh nein, heute nicht, meine Stimme. und immer deine V-Zeichen, aller V-Zeichen mit den Fingern beider Hände rechts vor der Brust, links, von der Seite her vor den Augen. nein, oh nein, heute nicht, nein, meine Stimme. meine Verlobte! er hat sie geschwängert. sie schlägt ihn. du ziehst die Arme vors Gesicht die Handflächen nach aussen gekehrt. sie schauen zu mir auf. und die V-Zeichen?
setzt sich jemand neben mich, es gibt hier viele leere Bänke.
Sachen für den Zehnjährigen, Futter für die Kaninchen, Meerschweinchen, Hühner. ich habe nichts mit Kaninchen, Meerschweinchen, Hühnern, auch nicht mit Pflanzen, obwohl ich sie mag.
haben Sie eine Genehmigung? eine Genehmigung? eine Genehmigung der Parkverwaltung. ich warte auf den Hauptverwalter, immer haben wir im Park gearbeitet. letztes Jahr befummelte ein Sicherheitsbeamter des Parks eins unser Mädchen. guten Tag. guten Tag, heute erlaube ich Ihnen eine Stunde, in Zukunft brauchen Sie eine Genehmigung. danke.
kein Musiker, keine Instrumente, sitzen da, lausen sich, wir klatschen den Rhythmus. manche sind - schaffen das nicht, wollen essen, nur essen. ohne Arbeit kein Essen, hinterher gibt's immer Essen. sie singen noch zwei Lieder, ich brauche noch ein Lied und noch eins. mit Herkommen und Essen sind das vier Stunden ohne zu klauen, sich anzubieten und doch vollem Magen.
sprechen dann erst mit ihnen, fangen dann an. sie murren nicht, machen mit, alle. Gymnastik, Singen, die Szene vom Arbeiten auf der Strasse. kommt dieser Magere mit immer der grossen weissen Jacke an auf der Mauer am Fluss angetanzt, magerer als das magerste Huhn, grosse Narben über der Brust, flattert auf uns zu, fängt an mit der Luft zu boxen, wie man Schläge kriegt, auch von Polizisten, und austeilt. ich bitte ihn, das zusammen mit dem, der unten und oben vorn keine Zähne hat, Alkoholiker, zur Zeit ziemlich gut drauf, als Luftboxen Doppel noch einmal zu bringen. sie tun das, ihre Bühne ist hier, jetzt. bis, bis! vergiften, alle vergiften!
zum Symposium der Gewerkschaft der arbeitenden Kinder und Jugendlichen. ich weiss ja nicht, wann ihr hupend vor der Tür steht, meine Gefangenschaft in eurer Zeiteinteilung diesmal vorbei ist.
einundzwanzig Jahre, verteidigt Kinder, vor allem Mädchen, denen man auf der Strasse Gewalt antut, ist ausgerastet, abgeführt. als der Kommissar ihr ein Frühstück bringt, für Kriegsopfer gelten andere Regeln, pfeffert sie ihm das Frühstück ins Gesicht.
kommen beim Haus unserer Freundin an. die Tür, die Schlüssel passen nicht. holen drei Jungs, die brechen die Tür auf, ich gehe mit ihr rein. die Drei und er warten zwei Strassen weiter im Auto. Bett, Bettzeug, Kücheneinrichtung, Wäsche, Garderobe, alles weg. kommen fünf Sicherheitsmänner, einer davon wird von unserer Freundin für die Bewachung des Hauses bezahlt, kommen mit dreissig Schlägern mit Knüppeln, Pistolen, sehen unser Auto, kommen auf uns zu, schlagen mit ihren Knüppeln aufs Frontfenster ein. die Jungs auf dem Rücksitz nehmen die Beine. einer bedroht mich durchs geschlossene Seitenfenster mit 'ner Pistole. fahren dann morgens sehr früh, starr auf dieser Spur, ganz starr auf dieser Spur, rechts die Laster, Busse.
schauen vor sich auf den Boden. ihr Horizont reicht kaum über den Rand des Flecks, auf dem sie stehen, hinaus. der Bus hält nicht vor der Brücke, nach der Brücke rechts ab erst bei einer Fussgängerbrücke zurück nach diesseits des Flusses. ich denke die Strasse zu erinnern, dann ist sie anders. bei der nächsten Durchgangsstrasse über den Fluss kehren wir um, kehren wieder um, überqueren die Durchgangsstrasse. gut, dass es im Oktober noch nicht so heiss ist. die Strasse ist leer. keine Blumen in Fenstern, keine Autos. nein, ich mache hier keine Aufnahme. eine Frau in einer Tür, geht rein. ans letzte Haus grenzt ein grosses umzäuntes Sportfeld. dahinten hört der Zaun auf. in der Ecke nahe dem Haus am Zaun zum Fluss hin kauern Jungs. wir überqueren das Sportfeld, als auch der Zaun zum Fluss hin aufhört. laufen oberhalb seines ausgetrockneten Betts über einen Trampelpfad zurück. unten liegen Schienen, noch tiefer zwischen Steinen und Gestrüpp Halden von Schutt, Abfall. vor dem Zaun hinter dem seine Kumpel kauern, lehnt einer am Zaun. ich grüsse. ob der Trampelpfad hinter den Sträuchern weitergeht? Gestank von Scheisse, verrottenden Apfelsinen. bei einer verlassenen Fabrikanlage endet der Pfad an der Durchgangsstrasse, die wir überquert hatten. wir überqueren die Durchgangsstrasse, gehen bis nahe der Stelle, die ich erinnere, kehren um, rufen an. es ist nicht weit, nehmt ein Taxi. hier nehme ich kein Taxi, überqueren die Durchgangsstrasse in Richtung jener leeren Strasse, gehen nicht rein, überqueren sie, ich gehe zu dem Sicherheitsbeamten mit Hund mit Maulkorb, der noch immer da steht. bitte, ich wusste, weiss den Weg nicht mehr. wissen Sie, wie gefährlich die Strasse ist? ja. nehmen Sie den Bus. wir können auch ein Taxi. nein. er hält den richtigen Bus für uns an. ich bezahle einen Sol, der Schaffner will mehr, ein Sol für uns beide ist genug, er will mehr, unsere Haltestelle, noch einen zum Versaufen, sagt er.
die meisten sind zu gedröhnt, der Zehnjährige, den wir letzte Woche ins Haus der Kleinen südlich der Stadt gebracht hatten, wieder hier, hatte 'ne Menge Kleister bei sich, nahmen die Grossen ihm ab, gehen nicht sanft mit ihm um.
sogar das Rausholen der Kamera kann heute Kampf unter ihnen auslösen, doch arbeiten sie gut, auch die, die zu sind. zum Hühnergrill, für jeden ein Viertel Huhn. wie sie sich um die letzten Zattern streiten, kein Stückchen Pommes bleibt liegen, kein Reiskorn. einen separiere ich, spreche mit allen Gästen, die um den Tisch mit den Kindern herum sitzen, und dem Personal.
du hattest noch angerufen, ich schlief schon.
nur wenige, wir arbeiten mit jedem allein, dann noch irgendetwas zusammen, nichts funktioniert.
Morgen früh, wenn Gott will. der, der so tanzt wie Marcel Marceau. die Därme des Autos kratzen über die Strasse. ich gewöhne mich nicht daran ein Hund auf Abruf bereit zu sein. solange ich warte, gibt es kein wir, ja, doch. zum Haus noch weiter südlich. das für Mädchen mit Kindern an Händen, Brüsten, im Bauch, oder eben gerade nicht, wo auch die Kaninchen, Meerschweinchen, Hühner sind. das Stück zusammensetzen, alle sind da, auch der Zehnjährige. nach noch anderthalb Stunden fangen wir an. auch innerhalb aller Anwesenheit übt jeder Verzögerung aus, und während der Proben. du bist zu hart zu ihm, seine Kriegserfahrungen, Strassenerfahrungen, gerade geheilte Tuberkulose. es ist besser sie nicht als Opfer zu betrachten, besser für sie sich selbst nicht als Opfer zu betrachten, falsches Mitleid lauert, wer will schon hart zu sich selbst sein?
von Raub. ich hatte eher an Prostitution in der Homoszene gedacht. Strichjungen sind nicht so gut genährt, kriegen irgendwann AIDS, sterben an Tuberkulose.
um 3 Uhr ist die erste Aufführung Geschichte. sie begreifen noch schlecht, dass Leben etwas ganz Intensives ist, reingestürzt oder nicht.
fängst an deine Songs auszuschmücken. Schmuck, ich will Schmuck!
Wolken multiresistenter Tuberkelbakterien schweben über diesem Ballungsgebiet, schlagen nieder auf den dreckigen Asphalt, stehen in Bussen. einen Kaffee und noch ein Glass Wein. Tränen stehen in seinen Augen. habe nie gedacht, dass es mich erwischen würde, lebe ja nicht auf der Strasse. wer? es fing mit einem kleinen Etwas irgendwo rechts oben in der Lunge an, zwei Monate später ein viel grösseres Gebiet. habe immer gesehen, wie jener - der, der seine Songs jetzt ausschmückt - sich anstrengen musste, nach der Medikation immer sagte: so elend, in meinem Kopf alles Scheisse. noch zwei Stunden nach den Tabletten kann ich mich nur langsam aufrappeln. was aussieht wie zugelegter Speck, kommt von den Tabletten und ich muss ja nicht nur essen, muss doppelt essen, Tuberkulose frisst Kraft. tuberkulöse Strassenkinder müssen arbeiten um überhaupt fressen zu können bis sie tot umfallen, die Scheisse im Kopf.
der Zehnjährige wird wieder ausreissen, die Stadt erreichen, bis er dann doch geschnappt und in eins der staatlichen Heime gesteckt werden wird. Höllen, das sind Höllen.
dann zerschneidet jemand mit einer Bewegung, einer Bemerkung die so bröslige Konzentration.
eine Flasche zerdeppert, eine ganze Stunde Kampf.
wir fahren gegen Abend schon mit dem Bus. warum? wir fahren.
natürlich sind die Klosetts am Nachmittag eine stinkende Kloake. mit dreiunddreissig Kindern dann zum Hühnergrill. ich kriege das nicht runter.
wollen Sie die Welt verbessern? bei jedem Schrittchen überrennen uns Schritte. ich muss leer hin, durch die Tränen hindurch unter die Tränen. Erwartungen? das Tränenmeer ist kompakt, Mitleid fehl am Platz. die Kinder, nicht nur die Kinder, bevorzugen es dem steinernen Meer in sich auszuweichen, an seinem Rande Rausch zu verfallen. ich hege keine Erwartungen. wirfst mich zurück auf den Strand, höre nichts als den Wind, deine Wellenschläge. wirfst Schildkröten auf den Strand, liegen da mit aufgedunsenen Bäuchen und Beinen, bleichweiss. eine Gans. vielleicht irgendwann Menschen aus Boten.
ist die Strasse die Vorstufe zum Paradies? der erste Mensch, es ist noch früh. seine Hautfarbe? von Schädelfleisch und Haaren keine Spur, das Fleisch an Körper, Armen, Beinen aufgedunsen, die Haut bleichweiss wie die der Schildkröten.
kotzt Quallen und tote Tiere auf den Strand, schlürfst sie wieder auf, lässt sie liegen, flachst Buchten ab, frisst dich ins Land. die Menschen, die aus dem Lager hierher kommen, dürfen, können, wollen, sind dicker geworden, essen auch hier, manch Anblick schmerzt. ausgekotzte Statuen von Sand gleich bedeckt. ich laufe meistens bis ans Ende der Insel und wieder zurück. jetzt gibt es unten rum nackte Männer, die sich vor daliegende nackte Frauen stellen, gaffen. früher taten sie das auch, aber hielten sich zum Gaffen an gewisse Abstände. um nackt daliegende Männer habe ich noch nie unten rum nackte Frauen gaffen stehen sehen.
um 13.30 Uhr fängt die Befummelstunde an, darf jeder jeden befummeln, ablecken, absaugen. der Koitus an sich ist tabu. eine kniet, der Alte strauchelt. täglich fahren Polizisten den Strand entlang um landende Flüchtlinge zurück in deine Fluten zu drängen. die fickenden Paare lassen sie links liegen. Stapeln und Abtransport der Leichen und Skelette ist nicht ihre Angelegenheit.
Mastanlagen des Leibes, des Geistes, Fettgeistigkeit, Schöngeistigkeit.
schmeissen die Kleinen wie Katzen zu Boden, im Rausch dann reissen sie ihnen Ärsche und Fotzen auf. der Dreizehnjährigen? im Rausch scheissegal. dem Zehnjährigen? haben wir schon, tun es wieder und wieder. ja, er wird sterben. schlurfen mit vom Rand des Todes gezeichneten Gesichtern, kuscheln sich in den Dreck des Rasens. ihre Eltern hatten ein Blechdach überm Kopf. es dringt zu mir durch, wie gefährlich die Gegend ist, durch die wir kamen.
arbeiten mit denen der so gefährlichen Strasse auf ihrer Strasse, einer anderen als die, die parallel zum Fluss nach ihrem letzten Haus am Sportfeld vorbei - ich weiss nicht wo endet. Strukturen zerbrechen. wir brauchen Lumpenpuppen. Nachsicht vernichtet. alle Zeit zersprochen, zerwartet. verfahre mich wieder und wieder ganz nahe dem Ziel. die durchkommende Sonne brennt sich mir kaum spürbar ins Gesicht. setzt sich einer neben mich. jeder kann sich setzen, wohin er will. spricht mich an, fragt, fragt bohrender Augen. sie schlafen jetzt unter der Brücke zur Linken. seine Mutter brachte ihn ins staatliche Heim. nach Jahren dauernder Misshandlungen flüchtete er. seine Mutter brachte ihn an eine Strassenecke, ging. unter der Brücke lebt er bei den Grossen, die sich nachts zu schnüffeln, voll pumpen, voll laufen lassen, ihm sagen: geh, da bist du besser aufgehoben. nach dem ersten Rausch an Essen, sauberer Wäsche, dem Bett für sich wird er diesem Gefängnis entfliehen, isst und isst, rennt rum, will weit raus ins Meer, überall mitmachen.
zum Tuberkulosehaus. durch die Strasse, auf der du mit den Kindern da arbeiten willst. damals liefen wir zwei-, dreimal pro Woche hier durch zu Proben mit den Jungs, die da untergebracht waren, und wieder zurück. in diesem Dreck wird alles feilgeboten. jener hat seine Behandlung mit Erfolg abgeschlossen, bei jenem ist gerade Tuberkulose festgestellt, bei seinem Bruder fängt die Behandlung zu wirken an. an den Pfosten gelehnt, Husten unterdrückend, wird er sichtbar noch immer von innen her aufgefressen. jener spucke kein Blut mehr. er spuckt Blut. alle gehörten irgendwann zur Truppe.
die grosse weisse Jacke schwebt über der Mauer.
ich wollte ich hätte weniger zu tragen, brauchte nicht aufs Abholen zu warten. Zeit habe nichts mit Uhrzeit zu tun, sagte er, und dann das Gehupe.
über die Brücke zurück. links ein Polizist mit Hund mit Maulkorb. links entlang der Strasse, die ich vermeine zu erinnern, entlang kleiner Läden, nein, wieder eine Durchgangsstrasse über den Fluss. wir kehren um, kehren wieder um, kreuzen die Durchgangsstrasse, auch hier ein Polizist mit Hund mit Maulkorb, rechts der Kreuzung. eine Frau in einer Tür. das letzte Haus. ein Sportfeld mit Jungs, der Zaun hört auf, dann hört auch der zum Fluss hin auf. wir überqueren das grausandige Feld weit genug von den Jungs entfernt. ein Trampelpfad, der Fluss ist trocken, unten liegen Schienen, Schutt, Abfall, Scheisse, in der Ecke des Sportfeldes hinterm Zaun nahe des letzten Hauses der Strasse kauern die Jungs, schnüffeln, rauchen. einer lehnt diesseits am Zaun, ich grüsse, bei der verfallenden Fabrik vor der Brücke kommen wir auf die Durchgangsstrasse, die wir überquert hatten, überqueren sie, gehen bis hin zu dem Gebiet, das ich vermeinte zu erinnern, kehren um, rufen an, überqueren die Durchgangsstrasse und die, die zum Sportfeld führt, gehen zu dem Polizisten mit Hund mit Maulkorb. bitte, wie kommen wir dahin? diese Zone ist extrem gefährlich. er hält den Bus für uns an.
letzte Korrektur Juli 2015
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