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Jubel ergreift die Zuschauer, die Kinder

... und dass ich sie liebe

Begleitmusik der Theaterarbeit mit den Strassenkindern
in aufgefangenen Sätzen, fragmentarischen Bildern, Gedanken
© Sabine Vess, 2006

 

Schläge
Hände an meinen Brüsten
Männer auf mir
Penisse in meiner Scheide
Schläge
Mutter schreit

ich vergewaltige Mädchen
13, 14 Jahre alt

renne
renne
das Auto
Hüften
Beine
Nase
brechen

ich klage an!
ich besteche!

bin vergewaltigt, Mutter
dein Vater ist nicht dein Vater, Kind

rase durch Strassen:
fickt mich!
fickt mich!
kaufe Kleister
schnüffle Kleister

Jacke
Hose
Haar
verklebt

zittre
glühe
schreie
schreie
stosse die Faust in die Luft:
ich will einen Macho!
will einen Macho!
will einen Macho!

schrilles Lachen
der Fernseher an
Türen schlagen
Kinder an Brüsten
nirgends ein warmer Fleck

wir internieren alle
Schwachen
Armen
Kinder
Alten
noch hat die Kastration nicht begonnen
es geht um die Hälfte, Zweidrittel der Weltbevölkerung
wir erklären die Strassen zum Internierungslager
sie sind das reinste Gefängnis

Augen werden zu Schlitzen
starke Arme verschränken sich über Köpfen
Blusen ohne Ärmel
Schenkel winden sich umeinander
graue Haaransätze
geebnete Donnerfalten
Häkeldeckchen über Sesselrücken und -lehnen
wuchtige Möbel
Perserteppiche und -brücken
auf Tischchen
Regalen
am Boden
Figürchen in Grüppchen auf Deckchen
Fotos
Kerzen

bleib anständig, mein geliebter Sohn
anständig, mein Vater, was ist das?
es ist ganz einfach, mein geliebter Sohn
alles, was
in meinem, deinem und unseres Heiligen Geistes Namen
nicht zu sein hat, ist nicht
zu sein hat, ist
Heiliger Geist, mein Vater, was ist das?

 

an jenem ummauerten Ort für solche wie wir
weit draussen
zu Gast
unsre Baracke hat eine Bühne

auf Bettgestellen
auf Schaumplastik
voller Schnitte
Löcher
die Scheiben zerdeppert

davor die dreckigen Lappen
blähen sich auf
reissen sich los

wir spucken auf den Boden

der Pförtner mit schiefem Auge
runterhängendem Lid
das rechte Bein schleift
sitzt auf dem Stuhl in der Seitentür
vertritt sich die Beine

wir hupen
rufen
schlagen aufs Tor
es kann dauern
die Gebäude liegen weit zurück

gibt uns die nicht saubere Hand
mit den dreckigen Nägeln
seine Jacke, Hose, Kappe, sein Leib sind
schmutzig
er bleicht sich das Haar

erst beten wir
dabei stehen wir
Herr
Herr
wir danken dir
wir danken dir
für das Essen
für das Essen
und den Saft
und den Saft
mögen alle Kinder
mögen alle Kinder
Essen haben
Essen haben
und Saft
und Saft
im Namen des Vaters
im Namen des Vaters
und des Sohnes
und des Sohnes
und des Heiligen Geistes
und des Heiligen Geistes
Amen
Amen

das Essen ist lau

sind alle fertig
stellen wir uns hin
sprechen das Dankgebet
Herr
Herr
wir danken dir
wir danken dir
für das Essen

auf der Strasse
auf der Strasse
immer auf der Strasse
meine Mutter
Schwestern
Brüder
ich
das gefällt der Tante nicht
dass wir auf der Strasse schlafen

Mutter bleibt auf der Strasse

und es kommt der 17. Mai 2005
und eine Hundertschaft
und eine Richterin
und schmeissen uns auf die Strasse

mit fünf
arbeiten
Stiefvater schlägt Mutter

Mütter kommen, auch
Väter
Onkel
Brüder
nicht oft
setzen sich zu uns
auf die Erde
auf die Betten
stopfen uns voll
Apfelsinen
Mandarinen
Bananen

Sauerei
dreckige
ich hol dich zu mir
bist ja meine Kind

immer stehen sechs Polizisten vorm Haus
seit die Hundertschaft die Kinder da raus trieb
immer kurbele ich die Scheibe runter
spreche mit ihnen

jene ist nicht da
jene und jene auch nicht

wir rennen raus
rein
raus
werfen uns auf die Betten
setzen uns auf die Bühne
lausen uns
blasen Kaugummiblasen
lassen die Blasen platzen
spucken auf die Bohlen

der Termin rückt näher

wir legen uns auf die Betten
ziehen uns die Decken über
lausen einander
dauernd lausen wir einander
treten uns in die Fotzen

ich greife voller Lust in Ärsche
ich bin 13 Jahre alt

willst du mich schlagen?
ich schlage dich nicht

sie steht mir bis hier
kotzt mich an
sag es ihr
er schmeisst uns den Kreisel zwischen die Füsse

bis wir menstruieren sind wir sicher

sie ist tot
atmet noch
bäumt sich auf

ein Mann in Kittel mit Gummischaftstiefeln und Gummischafthandschuhen
schiebt blutiges Zeug in Plastiksäcken
legt es vor die Tür
bitte, sagt die Schwester

sechs Betten
links schaut eine graue Frau mit lila Strickjacke
jene Ecke hat kein Fenster

rechts
das Gesicht verquollen
an die Sauerstoffflasche gekoppelt
drei hochgelegene Fenster
die anderen Betten sind leer
ich lege meine Hand auf die Schulter des Mannes am Bett:
ich kannte sie
ihre Hand wird blau
ich greife die Hand
sie ist kalt
halte sie
lege dem Mann noch einmal die Hand auf die Schulter
gehe

jene fährt weg, müsse zu ihrem Vater
jene schlägt sich, fällt die letzte Stufe runter
trägt immer einen Rucksack
jene ist mit ihrem Baby zum Vater des Kindes
ist schon drei Tage weg
14
jene hockt nur da

sie stürzen sich auf die Rosinen

hast du keine Läuse?
die kleinen Dinger, die im Haar nisten, pieken

sind alle Spieler, die da sind, da
muss ein Lehrer, ein Betreuer
ja was
auch bei streng bewachter Tür rennen sie
raus
rein
kommen in diesem
Raus
Rein
irgendwann auf die Bühne
bringen ihr Teil
oder nicht: ich will nicht!
kommen nicht mehr rein
sie fangen sie ein
manche finden sie nicht

bevor ich aufs Klo gehe, schüttet sie Chlor in die Kloschüssel
auf die Fliesen
der Dampf beisst drei Räume weiter noch Tränen aus meinen Augen
benimmt mir den Atem

wir behandeln dich wie einen Hund auf Abruf bereit
die Zeit bis zum Abruf ist Gefangenschaft
die einzige, die ich für mich habe
abgesehen vom Schlaf

ich könnte gehen
gehe nicht
hüte mich damit zu drohen
müsste die Drohung ja wahr machen müssen

und sie flehten und jammerten
ich hatte gesagt: ich gehe
und ging

nein, in jenem Gebäude spuckten sie nicht auf den Boden

die Sängerin kommt
nimmt die Kinder der Kinder auf den Schoss
die Kinder berühren sie
strahlen

heute um 10 Uhr vor Ort
jetzt ist es 10 Uhr 30
10 Uhr 40
14 Uhr 30

heute um 11 Uhr
jetzt ist es 12 Uhr 10

geht einer auf ihn zu
hält er
automatisch
die Arme vors Gesicht
zieht den Kopf ein
dem tuberkulösen Rapper versagt die Stimme

immer rastet einer aus
das steckt an

geknüppelt
in Handschellen
die Zähne raus- und kaputtgeschlagen
mit einer Flasche
ich wollte in unser Haus
(aus dem Hundertschaft und Richterin sie rausgeschmissen hatten)
ich fasse seine auf dem Rücken zusammengeschlossenen Hände
berühre seinen Arm
Gesicht, Arme, Leib sind
voller vernarbter Schnitte
ein Auge hat was abbekommen
wir geben ihm das unterwegs gekaufte Essen, leckeres Essen
zwei Polizisten fahren ihn zum Arzt
letztes Jahr schoss er den Fussball mit voller Wucht
gezielt in Richtung meines Kopfes

liegen auf den zerkrümelnden Matratzen
hinter der Küche
unsere Sachen sind gepackt

wir wissen nicht, wo der erste Sänger hin ist
ob und wann er wiederkommt
den ersten Sänger doppelt besetzen
mit dem zweiten sprechen
jene neu besetzen
Teile des Tuberkulösen neu besetzen
jene neu besetzen
jene und jene sind im Knast

jener kommt noch, ja, will wieder mitmachen
jene will mitmachen, aber nicht, wenn jener dabei ist
das Kind in ihrem Bauch ist nicht von ihm

stehen hinter verschlossener vergitterter Tür
bitten um Ausgangserlaubnis

es ist die Freiheit, liegt bei dir
willst du bleiben, kannst du bleiben
willst du gehen, kannst du gehen

der Kretin holt die Joghurtbecher aus den Abfalleimern, leckt sie aus
immer die bammelnde dicke Zunge zwischen den Lippen

Hacke
Zehen
Hacke
Zehen
vor
vor
vor
vor

jaaaa!
Freundin!

jene hat Tränen
will das Kind nicht
nicht schwanger sein

spucken auf den Boden
lesen lustlos

Moneten für mein Aufsagen!

der Kretin reibt die ausgeleckten Becher aneinander

liegen noch immer
auf den zerkrümelnden Matratzen
hinter der Küche
unsere Sachen stehen gepackt

ihr Rücken ist der einer Alten
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ich bin Rebell, singt sie
es klingt wie ein Liebesliedchen

wir kommen zu spät
hier kommen alle immer zu spät
die rechtzeitig Gekommenen gehen dann

meine sehr verehrten Damen und Herren
mit allem Respekt, der Ihnen gebührt, begrüsse ich Sie
ich verkaufe leckere Lutscher
meine sehr verehrten Damen und Herren
mit allem Respekt
meine Geschwisterchen und ich haben kein täglich Brot
verehrte gnädige Frauen, Eltern, Herren
zeigen Sie mir nicht die kalte Schulter
ignorieren Sie mich nicht
bitte
einen, zwei Soles
ich singe für Sie
dann singen sie
wir schauen ihnen nicht in, sonder durch die Augen hindurch
irgendwann geht der Blick hindurch

drei der Mädchen
13
seit drei Monaten im Knast

hol' uns raus
sie schlagen uns
wir wollen hier raus

viele der Gesichter sind stumpf
die Leiber weich
können nur dasitzen
Volleyball spielen
sich auf den Keks gehen

die, die wir nach langer Fahrt antreffen, gehören nicht zu den Spielern
jener ist nicht da; seinetwegen sind wir so früh

die Gesichter der Lehrer sind stumpf
die Gesichter dieser Jungs sind stumpf
die Lehrer gehen zum Internetcafé
Spieler
die eventuell da sind

wir arbeiten mit denen, die dann da sind
jede Bedingung schlägt sie
lange vor der äussersten Grenze ihres Kreises
zurück

mit Messern machen sie Büchsen auf
polken das Fleisch raus

ich drehe den Ton runter
wir drehen den Ton auf
ich drehe den Ton runter
wir drehen den Ton auf
mein Trommelfell zittert

sitzen vor dem Fernseher
schlurfen durchs Haus
sprechen monoton
kreischen
knallen mit den Türen

der erste Sänger rennt raus
der Tuberkulöse ist zur Behandlung

er will der Trommler sein
wir haben schon einen Trommler
er will so gern der Trommler sein
der andere und er
nein, der andere und er

dann kommen ein paar Kinder und Mädchen mit Säuglingen und Betreuern
nie schaffen es die Betreuer das Geld für die Rückfahrt vorher zu regeln

Übersättigung
sie kennen nichts anderes
ja, des Hungers nach allem

anderthalb Stunden nach vereinbarter Zeit ist noch niemand da
wir gehen

ich diskutiere nicht, ich erkläre!

zwängt sich auf meinen Schoss
ihr Rücken presst meinen Brustkasten zusammen
es gibt keinen anderen Platz, das Auto ist voll
die Einzige, die in mir verursacht zum Schlag auszuholen

ja, wieder auf der Strasse

du kannst nicht einfach sitzen bleiben
ich kann

Sie müssen hier weg
wir nehmen unsere Sachen
nach oben, sagt einer
alle rennen nach oben
wir spielen im Zelt!
alle rennen wieder runter
nach Stunden des Wartens
ist für nichts mehr Zeit
sie spielen auf Leben und Tod

Jubel ergreift die Zuschauer
die Kinder

Bilder
Schatten
der Schatten hält die Frau
das gibt es nicht
der Schatten hält die Frau

gehe runter zum Meer
wieder hoch in die Stadt
diesmal dauert der Abschied einen Tag länger

noch ein Treffen irgendwo
jene sieht aus wie eine verlebte Nutte
jene kann sich kaum zusammenhalten
nicht an einem Fleck

im Namen der frohen Botschaft wird allen der Mund geschnürt
schnürt sich allen der Mund
schlachten seine Mannen Millionen
er ist ein Heiliger!
was ist heilig?

am Abend fahren wir durch die Strassen
drei Kinder suchen
wo wir halten, sagen wir den Herangewinkten:
wir suchen die drei

jene und zwei andere stehen da
wir rufen sie
sie kommen ans Auto
tut es nicht, sagt sie
nein, sagen sie
wir suchen die drei

das Handy kreischt
in 10 Minuten buchten sie uns ein

oh, du!
er ist ein Künstler!
alle drei sind Künstler!

du stehst mir bis hier
kotzt mich an
(er sagt es nicht)

du?
13
du?
12
du?
12
das nächste Mal buchten wir euch ein

der Beamte kontrolliert unsere Papiere
wir unterschreiben
drücken die rechten Zeigefinger auf das Stempelkissen
und dann neben die Unterschriften

unterwegs kaufen wir den Kindern gegrillte
Hühner
Pommes
Limonade
ihr seid 10, sagt sie

wir setzen sie am Tor des Ortes weit draussen ab
gehen nicht mehr mit rein

am nächsten Tag sind sie weg
singen in Bussen
klauen
kaufen sich Kleister
von Müttern

er steigt noch ein
meine sehr verehrten Damen und Herren
mit allem Respekt
der Ihnen gebührt
ich habe AIDS
Tuberkulose
bin süchtig
noch eben
dann bin ich tot
ich habe kein Essen
ich singe jetzt für Sie

jener bewegt sich immer wieder im Schwulenmilieu
jener geht zur Zeit nicht zur Schule, will nicht
jener auch nicht, verkauft täglich ein paar Lutscher
übt zu tanzen wie die im Fernsehen
jener spielt Murmeln
jener lügt
jener antwortet auf nichts
jene hat 200 Dollar geklaut und zerschnippelt

 

ich habe noch eines der Kinder gezeichnet
ein grosses Bild angefangen
ihre Gesichter
schreibe
stosse immer wieder auf Aussichtslosigkeit
und dass ich sie liebe

stell dir vor, dass irgendwann aus all den zur Seite Geschobenen oder abseits Bleibenden - auch so funktionieren sie als Teil des Ganzen - aus dem Moder dessen, was wir unter den Tisch fegen, Wesen ungekannter Intelligenz hervorbrechen. und dass das, was wir tun, nichts als ein Kampf der Nachhuten einer dann ausgestorbenen Intelligenz ist. nein, ich verfüge weder über fixe noch fiktive Vorstellungskraft. und zu bedenken, dass die Entstehung noch ungeahnter Intelligenz von unserem Tun oder Nichttun genährt sein wird.

wir stiegen aus. weg von den müden grauen Gesichtern im Minibus. die Stufen runter zum tiefer gelegenen Strassennetz. liefen lange zwischen ummauerten dreckdunklen Gewerbegebieten und stinkenden Autos, Lastern. bitte, fragten wir an einer Bude. da, sagte der eine, da, der andere. nach noch einer ewigen Weile kehrten wir um. jetzt wisse er. vorbei an denen, die uns die oder die Richtung gewiesen hatten. bis fast dahin, wo wir angefangen hatten die Richtung einzuschlagen, aus der wir jetzt kommen, nahmen ein Motortaxi.

ich arbeite, wo wir ankommen, mit denen, die da sind. manchmal ist niemand da. unterwegs sauge ich nur in mich auf. ich liebe diese Fahrten und Wege, die so ziellos zu sein scheinen.

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