index prosa

MOMBASA

© Sabine Vess

in Mombasa sitzen die Bettler an der Wellblechwand
wie verschmolzen mit der Wand,
die Beine quer über den Bürgersteigen,
manche zerfressen.

die offene Hand -
die Arme der Menschen da sind so lang -,
die Hand legen sie neben sich auf das Pflaster,
in den Schoss.

sitzen
ganze Tage,
gelbe bis graue Todmüdigkeit von Gesichtern,
Gebärden
in diesem ständigen Wind von
Pestiziden, der durch die Strassen weht.

beim Waschen stehen die Frauen so:
Füsse und Erde sind eins.
der Rumpf ist rechtwinklig nach vorn gestreckt,
der Rücken ganz gerade.
Bauch und Busen hängen.

die Schüssel steht auf dem Boden.
alles steht, liegt auf dem Boden.
so waschen sie, Wäsche, Kinder...

weit reicht die Bewegung über die
langen Glieder hinaus in die
Erde,
zurück in den Leib.

früh schon strecken sich die Becken nach
hinten,
höhlen die Kreuze sich aus.

auch bei uns sind die Becken der Frauen nach hinten gestreckt, die Kreuze hohl. und es herrscht diese Kantung des Beckens nach links oder rechts. die Bewegung als ganze hängt am Joch der Schultern. das Kinn liegt auf der Brust; das quetscht die Stimme. das Kanten des Beckens seitwärts nach oben sorgt für ein Spiel- oder Freibein neben einem Standbein. irgendwann können sie das Becken nicht mehr in die ursprüngliche Lage kriegen, bestimmt diese Kantung fortan den Lauf ihrer Bewegung. das Standbein wird von einem Stockarm unterstützt, zunächst unter Protest. der Stock ist zwischen die knotigen Finger geklemmt. sie müssen ja fallen.
wenn sie jung sind,
durchrollt sie die
Bewegung
ganz.
das verflacht.
mehr und
mehr rollt es über sie
hinweg.

Dicke wiegen sich durch die Strassen.

den Blick auf Unendlich
laufen sie durch die Strassen,
in der Gosse,
Treiberameisen gleich in der Gosse.
(trittst du in eine Kolonne Treiberameisen, greifen sie dich an, sofort, beissen sich in dein Fleisch. du musst raus da, die Biester totschlagen, tot.)

stürzen, die ganze Strasse stürzt auf die ablegende Fähre zu.
man spannt ein Seil, fängt sie auf.
da stehen sie: "he!"
warten auf die nächste, in zehn Minuten: "he!"

Kinder schauen mir unverwandt in die Augen.

auch Afrikaner zeichnet das Alter.

Ereignissen kreischen die Frauen entgegen, schmeissen die Hände in die Luft. den Blick auf Unendlich folgen tausende von Füssen erhobenen Kreuzen, angenagelten Menschen, Erlösern, Fahnen, Fäusten - ganze Tage, Nächte - und die Menschen auf den Füssen werden geschlagen.

tanzen sie, tanzen sie, auch die Alten, soweit der eingerastete Leib, die Gicht sie lassen. Frauen schlagen sich Tücher um die Hüften. rollen die Schösse. kreischen. alles schmeissen sie in die Luft. kreischen, klatschen, lachen. Reissen die Füsse aus der Erde.
stampfen sie rein.
reissen sie raus,
stampfen sie rein.
dauernd fallen dabei Stücke Leib in ihnen
eher schon,
später dann.
sie lachen sich kaputt.
schmeissen sich hin.

alles fängt mit diesen Schritten an.
manche tanzen nur mit dem Blick.

Text für eine Performance über Bewegungen: Frankfurt 1996

index prosa