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DIE MENSCHENSCHLEUDERN
© Sabine Vess
Menschen schlagen mit Hämmern auf Ambosse. Die Ambosse gehören zu Schleudern. Auf die Schleudern legen Menschen Menschen. Zwischen denen, die mit den Hämmern auf die Ambosse schlagen, und denen, die Menschen auf die Schleudern legen, zieht sich ein Wasserband mit Seerosen und das Ufer mit den Schleudern: geschlossene, unbetretbare Kreise. Das Wasserband bewegt sich, das Uferband nicht. Es gibt kein Gefälle, keine Böschung.
Es gibt im Ganzen fünf Kreise. Im innersten, dem ersten, stehen die Menschen, die Menschen auf die Schleudern legen: die Hantierer. Sie können ihren Kreis nicht verlassen. Der zweite ist das sich bewegende Wasserband mit den Seerosen. Der dritte das feste Ufer, auf dem die Schleudern montiert sind. Im vierten stehen die Menschen, die auf die Ambosse schlagen: die Schläger. Im fünften stehen und laufen die, die zuschauen: die Zuschauer; manche in Rollstühlen. Der fünfte Kreis geht über in die Stadt, kann verlassen werden; auch die Stadt. Auch der vierte und fünfte Kreis gehen ineinander über. Schläger und Zuschauer können ihre Position verändern: Schläger Zuschauer, Zuschauer Schläger werden. Sie bleiben jedoch immer ausserhalb des ersten, zweiten und dritten Kreises. Nur ihre Hämmer reichen bis in den dritten. Die Hantierer, die Menschen des ersten, innersten Kreises, legen jene des dritten, die auch jene des zweiten sind und aus dem ersten stammen, die Schleudermenschen, auf die Schleudern; nehmen sie auch aus den Seerosen. Ihre Hände reichen also sowohl in den zweiten als auch den dritten Kreis; nur ihre Hände.
Für Münzen kaufen die Schläger Schläge: das Recht mit einem der Hämmer auf einen der Ambosse zu schlagen. Landet ein Schleudermensch in einer Seerose, legen die Hantierer ihn noch einmal auf die Schleuder. Wer ins Wasser fällt, wird abgesaugt. Wer in den innersten Kreis fällt - niemand weiss von solch einem Fall. Die Chance, dass einer in einer Seerose landet, ist nicht gross. Die Schläger sind zunächst ziemlich tollpatschig oder zu nervös und die Schleudermenschen haben keine Ahnung.
Die Hantierer sind immer dieselben. Ihre Zahl ist nicht gross. Woher die Schleudermenschen kommen? Es kommt beim auf die Schleudern Legen nie zu Verzögerungen.
Landet ein Schleudermensch in einer Seerose, legt sein Hantierer ihn, wie gesagt, wieder auf die Schleuder: ein Amboss-Freischlag für den, der am Zuge ist, das Wiedererleben dieses einmaligen Fluges für den Geschleuderten. Manchmal legen die Hantierer einen, der in einer Seerose gelandet ist, auf eine Schleuder daneben. Das hat immer Konsequenzen, auch wenn es aus Versehen geschieht.
Wer zum zweiten Mal in einer Seerose landet, weiss, dass er seinen Flug beeinflussen kann. Das Strecken oder Anziehen eines Beines, das Strecken oder Anziehen eines Armes, das Spreizen der Finger, ein Ruck mit dem Kopf. Alles übt Einfluss aus. Manche lernen schneller als andere. Beim dritten, vielleicht sogar schon beim zweiten Flug ist ihr einziges Ziel die Seerose zu erreichen, wieder auf die Schleuder gelegt zu werden, zu fliegen, von den sie ergreifenden Händen ergriffen zu werden. Ob sie wissen, dass das Hände sind? Die Regel ist ja der einmalige Flug, das einmalige Ergriffenwerden. Die meisten wissen nicht, was eine Seerose ist, nicht, dass es sie gibt, nicht, was eine Hand ist.
Ergriffenwerden
Hingelegtwerden
Weggeschleuderntwerden
Flug
Wasser
ab.
Es gibt vor dem ersten Mal keine Information. Übermitteln könnte nur einer, der in dem Augenblick, in dem der zu Ergreifende ergriffen wird, über das Wasserband hinausschiesst, und nur wenn der, der gerade zum ersten und wahrscheinlich letzten Mal ergriffen wird, gerade dann seine Augen aufschlägt oder den Schrei des über die Grenzen Hinausschiessenden hört. Dann noch wüsste niemand, der zum ersten Mal für die Schleuder bestimmt ist, was gemeint ist. Es könnte Ausnahmen geben. Aber das besagt nichts über die Chancen für einen zweiten Flug.
Die Zuschauer drängen sich zwischen die Schläger, feuern sie an. Wer einen Schleudermenschen in eine Seerose katapultiert hat, dem schwillt der Kamm. Immer. Alle Wiederholungsschläge sind Freischläge. Nach drei Freischlägen kann der, der am Zug ist, wählen: ein Präsent oder weiter schlagen. Manche schauen fragend ihre Frauen, Männer, Nachbarn an. Freischläge sind nicht übertragbar. Schleudermenschen dürfen nicht wählen, können nur durch Eigenbeeinflussung des Fremdschlags ihren Flug beeinflussen, so oder so, können allerdings nicht davon ausgehen das sich gesteckte Ziel zu erreichen.
Fällt ein Schleudermensch ins Wasser, wird er abgesaugt. Sofort. Er spielt keine Rolle mehr als die, die Zahl derer, die schon abgesaugt worden sind, zu vergrössern.
Schläger können mit einer weiteren Münze einen neuen Anfangsschlag kaufen. Manche fangen immer wieder an.
Die paar Hantierer sind eine Konstante.
Die Schleudermenschen sind in ihrer Anwesenheit an sich eine Konstante, auch wenn es sich immer um neue Anfuhr handelt, bis auf die wenigen, die rein zufällig oder durch den kundigen Schlag des sie katapultierenden Schlägers in einer Seerose landen. Dann erst fängt das eigentliche Spiel an.
Die Zuschauer drängen sich zwischen die Schläger. Verfolgen die Hämmer, die Flüge mit ihren Blicken. Das Wasser spritzt auf. Feuern sie an. Geben Instruktionen; auch die in den Rollstühlen. Manche strömen einfach vorbei, als interessiere sie diese Attraktion nicht.
Die Menge der Zuschauer ist die grösste. Sie treffen an sich nie eine Entscheidung als die nicht zu schlagen oder dann doch, womit sich ihr Status ändert.
Aus Notizen 1991, letzte Korrektur: Januar 2004
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