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DER KÜRZESTE WEG

© Sabine Vess

 

Fleischspiesschen und Pommes mit Mayo aus Luken, zugenagelte Cafés, verkommene Häuser. Ein Kinderspielplatz. Graffiti.

Ein Haufen Polizisten auf der linken, ein Haufen Dunkelhäutiger auf der rechten Strassenseite, manche mit dunklen Brillen.
Anheben, Aufsetzen, Anheben, Aufsetzen, Anheben des einen Fusses derer der dunklen Horde. Die Bewegung erreicht die Hüften, wird heftiger, flaut ab. Die Polizisten halten sich an Walkie-Talkies fest, befühlen ihre Gürtel, ihre Pistolen, lassen die auf der anderen Seite nicht aus den Augen, verborgen unter der Mützen Schirme.
Durch dieses Spalier fahren Autos, bewegen sich Menschen. Manche hin und her und hin und her, manche schlurfen vernebelten Blicks, zerfleddert, gekrümmt.

Sexshop neben Sexshop. Von Plakaten lächeln Vollbusige mit glänzenden Hintern und Schenkeln uns zu. Plastikpenisse in Plastikfolie. Für Geld darfst du nackte, glimmende, stöhnend sich windende Frauenleiber mit den Augen beglabschen. Das Stöhnen musst du dir denken.

Hallen voller einarmiger Banditen, Stuben mit zugezogenen Vorhängen, Stuben mit offenen Vorhängen, leere Stühle, bedeckte Scham, bedeckte Brustwarzen, rote Krallen, rote Lippen.
Der Himmel ist grau wie das Pflaster.
Zähes Grau ergiesst sich über die Menschen.
Das Rot der Lippen, der Nägel.

Es regnet seit Tagen.

Purpurne Veloursvorhänge, kleine purpurn ausgeschlagene nach hinten zu dämmrige Stuben, Plüsch.

Hinter Glass sitzen Frauen, hellhäutig, gebräunt, braun, stark, mollig, fett, ab und zu ein wenig dünner - rote, weisse, schwarze Minischlüpfer, Büstenhalter mit und ohne Bügel, goldene, schwarze, rote Bodystockings, aus denen fest oder weich das Fleisch quillt - zurückgelehnt, leger, nach vorn gebeugt, die Beine übereinander geschlagen - Stöckelschuhe, stramme Schenkel, teigige Schenkel - an Fingernägeln polkend, feilend, lesend, telefonierend, mit Zigarette. Manche stehen.

Schritte. Die Leiber straffen sich. Sind die Schritte vorbei, sacken sie wieder in sich zusammen. Abends sind die Leiber immer gestrafft, reissen die Schritte nicht ab.

Ein leerer Stuhl, möblierte Zimmer stundenweise zu vermieten, Glitter - abends, nachts erleuchtet. Rotes Licht, möbliertes Zimmer, rosa Plastikpenislampen an, aus, an. Schwarze Spitze.

Nonstop Sex Kinos mit bunten Rummellampen. Kaffee in einem Souterrain, serviert von Dunkelhäutigen. Wachstuchtischdecken, Plastikstühle, nackte Glühbirnen, müde Salate, russische Eier. Kneipen voller Rauch, Bierdunst, Männergesichtern. Kurz schauen sie auf.

Kleine Mädchen, auch Jungs, mit fahrigen Leibern. Nehmen Sie ihn! Es ist verboten. Ganz billig! Graue Gesichtchen ohne Worte, zitternde Hände. Nehmen Sie ihn! Nehmen Sie ihn!

An einem Montag bei strahlender Sonnen sehe ich wieder solch Gesichtchen. Die Lider, glänzend, schwer, klebend auf den Augen. Er kippt nicht um. Beim Zählen der Münzen zittern die mageren Hände.
Junge Asche mit farbiger Perücke, einer dicken Lackschicht, rotbeklecksten Wangen. Die Unterlippe, blauviolett gedunsen, sackt ihm immer wieder aufs Kinn. Mit Mühe zieht er sie über die Zähne.

Bei jeder Witterung, Tag und Nacht. Die Spieler: austauschbar. Die Zuschauer: austauschbar.

Tagsüber reissen die Schritte immer wieder ab. Tagsüber gibt es mehr leere Stühle. Die Beleuchtung fängt erst gegen Abend an. Dann lärmt, sprüht das zähe Grau; auch die Asche.
Morgens ist es es nur bitter.

Auf dieser Brücke stand sie, oder der?

Noch eine Stube, graue Fassaden, ein Bretterzaun, ein Metro-Eingang, eine Hausfrau mit Kind.

 

August 1981, letzte Korrektur Oktober 2017

 

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